Seite:Wilhelm Löhe - Predigten für die festliche Hälfte des Kirchenjahres.pdf/434

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Nicht ganz, sage ich. Denn die Welt begleitet uns überall hin, und wenn wir uns ins Kloster sperrten, weil der Weltgeist durch Thür und Riegel, ja durch Haut und Bein in unser Herz den Weg findet. Ich weiß wohl, daß manchmal einer im Kämmerlein auf den Knieen betet. Betet er leise, so raunt ihm eine Stimme zu: „Ei, was du für ein stiller Beter bist, was wird der Vater, der ins Verborgene sieht, für große Freude an dir haben!“ Betet er laut und ist allein, so antwortet dieselbe gottlose Stimme: „Ei, wenn dich nun der oder jener beten sähe und hörte, wie sollte er sich wundern, was du für ein Beter bist!“ Aber laß du dich das nicht hindern, erkenne nur, von wannen diese Stimmen sind, und wirf dich desto brünstiger in das Erbarmen, das mit unvollkommenem Gebet in Christo JEsu schon Geduld hat. Bete in deiner Kammer, denn die Kammer hat ihren großen Segen, und es giebt Dinge, welche man in Gemeinschaft der edelsten und liebsten Seelen doch nicht beten kann, weil sie für keinen Menschen taugen, sondern Geheimnisse sind und bleiben, nur für den Beter und seinen Gott offenbar.

.

 Bete aber auch im Hause mit den Deinigen. Der Hausgottesdienst ist, wo er besteht, ein unschätzbares Kleinod. In welchen Familien er besteht, die sind glücklich zu schätzen; wo er verschwunden ist, muß man weinen; wer ihn wieder einrichtet, thut, wenn bei reinem Herzen, ein gutes Werk. Wahrlich, die Hausgenossen müssen sich lieben, die miteinander beten können. Leider aber machen sich viele Hausgenossen miteinander so gemein, daß sie sich zu einem gemeinschaftlichen Gebet nicht erheben können. Sie stehen gegenseitig bei einander zu sehr im Rufe, daß es ihnen um die Frömmigkeit kein Ernst ist, als daß die feierliche Erhebung im Gebet für sie gegenseitig erträglich wäre. Es kann nicht sein, daß die vor und miteinander sich zu Gott erheben, die vor und miteinander alle Pfützen der Gemeinheit durchwaten. Da nun aber der Mensch zur Gemeinheit nicht geschaffen ist, mit seinen Hausgenossen aber sich nicht erheben kann, so suchen dergleichen Menschen gern Gebetsgemeinschaft mit Freunden, die ihnen