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haben. Für solche aber ist die mündliche Rede beim Gebet eine wahre Himmelsleiter; durch dieselbe wird uns unter Gottes Segen möglich, unsere Gedanken zusammenzuhalten auf den Einen, zu dem wir beten. Darum sagt auch der HErr in der Antwort auf die Bitte der Jünger in unserm Text: „Wenn ihr betet, so sprechet also: Vater unser etc.“ Ja, wenn das Gebet oft recht dringend, recht brünstig wird, wo wir die Sprache nicht mehr zur Himmelsleiter brauchen, weil das ganze Herz ergriffen ist und zu Gott schreit, dann können wir oft gar nicht anders, wir müssen den Tumult unserer Seele laut werden lassen, und die Sprache findet sich von selbst zum Wort. Darum erzählt uns St. Paulus (Hebr. 5, 7), daß selbst unser HErr JEsus Christus, dessen Gedanken doch immer bei Seinem Vater waren, in den Tagen Seines Fleisches Gebet und Flehen mit starkem Geschrei und Thränen geopfert habe zu dem, der Ihm von dem Tode konnte aushelfen. Überhaupt scheint es hier am besten, zu sagen: Ist dein Herz so der Andacht voll, daß du nicht nötig hast, Worte zu machen, so bete im Herzen. Es ist recht und gut. Ist aber dein Herz von einer solchen Andacht ergriffen, daß du reden mußt, so rede. Es ist auch gut. Wenn nur alles ohne Falsch, mit aufrichtigem Herzen geschieht.

 Ebenso ist es keine Hauptfrage, ob man ohne Buch oder im Buche bete. Drängt es dich, dein Herz vor Gott auszuschütten, so brauchst du kein Buch. Wenn du aber nicht selbst die Worte zu deiner Andacht weißt, so suche sie in einem Betbuch, z. B. in Arnds edlem Paradiesgärtlein. Viele thäten besser, im Buche zu beten und ihren Geist andächtig den Worten eines frommen Alten folgen zu lassen; aber sie sind nicht demütig genug, sich in die Worte eines Fremden zu schicken, ihr eitles Herz findet an jedem Betbuch etwas auszusetzen, und nur ihre Worte sind gut genug für sie, wenn sie gleich etwa vor Gott wie Schellen klingen, statt wie die Priesterglöcklein Aarons.

 In der Frage: Wie soll man beten? kann man aber auch und soll man insbesondere auf das Innere sehen, auf die geistliche Beschaffenheit des Gebets. Und hier antworte ich: