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bekehrten Landsleute „Betende Menschen“ zu nennen pflegen. Nun denn, so will ich in Gottes Namen und mit betendem Herzen ans Werk greifen und nach unserm Evangelio etliche Fragen vom Gebet aufwerfen und beantworten. Der HErr segne unsre Betrachtung, daß viele sich heute in Gott entschließen mögen, öfter und anhaltender und mehr im Geist und in der Wahrheit zu beten, als bisher geschehen ist. Amen.


I.
Was heißt beten?

 Beten heißt: „Mit Gott reden“. Wenn man mit einem Könige dieser Welt reden darf, so demütigt man sich, wir erkennen den Abstand, welcher zwischen uns und ihm ist, wir beobachten unsre Worte, unsern Ton, unsre Gebärden, daß nichts der Ehrfurcht widerspreche, welche einem Unterthanen vor seinem Könige ziemlich ist. Wenn man also mit Gott redet, so muß alles dies in einem viel höheren Grade vorhanden sein: denn vor Gott sind alle Könige der Welt nur Staub und Asche und nicht wert, genannt zu werden. Wenn man vor einem Könige steht, so denkt man an nichts andres: wenn also ihr im Gebete etwas anderes denkt, so beleidigt ihr die höchste Majestät: ihr betet nicht andächtig. Wenn man mit einem Könige redet, erlaubt man sich nicht, dazwischen hinein mit andern Leuten zu reden: wenn ihr also betet und dazwischen hinein weltliche Dinge etc. redet, so verletzt ihr die tiefe Demut, welche euch vor Gott geziemt. Wer betet, der erinnere sich immer, daß es Gott ist, mit dem er redet, mit andächtigem, demütigem, von Gottes Gegenwart erfülltem Herzen, aus voller Seele, abgeschieden von der ganzen Welt, einsam auf Ihn gerichtet, rede er, denn so muß es sein. Es giebt keine höhere Würde, als mit Gott reden zu dürfen.


II.
Zu welcher von den dreien Personen aber in der Gottheit soll man reden?

 Antwort: Diese drei sind eins. Ob sie wohl drei sind, ist doch keine jemals allein. Wenn man zum Vater betet, ist gleichermaßen Sohn und Geist angebetet: betet man zum Sohn,