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gleichsam: Geh hin, ich strafe dich nicht allzuhart, geh hin und laß mich auch gehen, magst du hingehen, wo du hinwillst, du lasse nun auch mich von hinnen gehen. Sieh, spricht ER, genug ist gekämpft, die Morgenröte bricht an. Aber so lässig im Kampf war Jakob nicht. Es hatte ihn die verrenkte Hüfte nicht gestört in seinem Beten, seinem Ringen und Kämpfen mit dem HErrn; so stört ihn nun auch das Zögern, das Weigern des HErrn nicht. Jakob mußte Frieden haben, sein Herz mußte leicht, seine Schuld mußte weggenommen, seine Furcht zerstreut werden: lieber sterben als ohne Gnade Gottes leben; Jakob merkt, mit wem er’s zu thun hat, er weiß, mit welchem er kämpfe, er weiß, daß alles verloren ist, wenn sich der HErr nicht drein ergiebt, mit ihm versöhnt zu werden, wenn ER sich nicht überwinden läßt; er hat sich in einen Kampf gewagt, wo es entweder ewiges Siegen oder ewiges Unterliegen giebt: es ist ihm klar, sein ganzes Herz weint, sehnt sich, alle seine Kräfte sind wach, mit Macht drückt er den HErrn an sich, in ihm heißt’s: HErr, Unbekannter und doch Bekannter, nicht so, nicht halb zürnend geh von mir, was soll mir helfen, wenn Du mich von Dir stößest, HErr, ich bin dahin gekommen, daß ich Dich nicht entbehren kann, HErr, HErr, ich lasse Dich nicht, Du segnest mich denn! Lieben Brüder, der mit Jakob kämpfte, ist der Mann, der zwar eine Weile das kananäische Weiblein ein Hündlein schimpfte, aber nichtsdestoweniger sich erbitten ließ, ihr zu helfen, derselbe, welcher das Gleichnis von dem Richter gab, der sich von dem Weibe mit viel Bitten überwinden ließ, derselbe, der den Ruhm hat, daß ER die Sünder annimmt, sollte ER denn, da Ihm Seine Eingeweide vor Barmherzigkeit brausen, nicht über Seinen Auserwählten Jakob sich erbarmt, ihn nicht aus der Angst gerissen haben? ER ist derselbe, der hernach am Kreuze aller Menschen Sünden, auch Jakobs Sünden trug; sollte ER dann, der Erlöser, über die Sünde Seines Knechtes Jakob unversöhnt zürnen? Hat doch Sein Blut versöhnt alle Sünder, erstreckt sich doch Seine Kraft vorwärts und rückwärts, rückwärts bis zur ersten Sünde Evas, vorwärts bis zu meiner Sünde, die ich heute, die ich vorm Augenblick gethan, bis zur letzten Sünde des letzten