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will, der darf von der Erde nicht selbst mehr Gewalt leiden. Da hilft nichts! Entweder – oder! Rein ab und Christo an!


VI.

 Nachdem nun Jakob also seines irdischen Gutes sich verziehen hatte und sein Herz arm an Erdendingen und an irdischer Lust geworden war, nachdem er sich ganz allein fand nicht bloß dem Leibe, sondern auch dem Geiste nach, da begegnete ihm etwas Besonderes, was in der heiligen Geschichte keinem sonst geschah. Ein Mann rang mit ihm, etwa von Mitte der Nacht, bis die Morgenröte anbrach. Es ist dieser Mann ein Krieger und Kämpfer, wie Melchisedek ein Priester war: man vermißt eine deutlichere Beschreibung, man wünscht alles deutlicher, man ist nicht zufrieden, daß er so eines dunkeln, geheimnisvollen Wesens ist; aber je dunkler, je geheimnisvoller, je unverständlicher, desto himmlischer, desto göttlicher ist er, desto deutlicher ist es, wer er ist: es ist der Sohn Gottes, der dem Jakob begegnet war. ER war ihm entgegen gekommen, als wollte ER ihn töten, ER that, als wollte ER gerechte Strafe von ihm heimholen: ER zeigte ihm etwas von jenem schrecklichen Ernste, welchen der Richter der Welt einst offenbaren wird; Jakob aber weinte, bat Ihn sehr, erinnerte Ihn an Seine Verheißungen, er wollte nicht mit Gott zürnen nicht Gottes Zorn tragen zu einer Zeit, wo er der Gnade am meisten bedurfte, er wollte nicht von Gott verlassen werden zu einer Zeit, wo er, von allen verlassen, Ihn zu seinem einigen Helfer auserkoren hatte. Da ließ sich der HErr erweichen, da gab ER in etwas nach, wiewohl sein Zorn noch nicht ganz gewichen war, statt Jakob ganz zu strafen nach Verdienst seiner Sünden, bewirkte ER bloß ein Andenken seiner Sünden an seinem Leibe, verrenkte seine Hüfte, daß er hinkend ward. Jakob heißt er, der einem andern die Ferse hält, heimlich, damit er nicht vorwärts komme, sondern hinke, strauchle, falle, und der nach jemandes Schaden trachtet, nun hinkt er selbst und am Hinken soll er zeit seines Lebens merken, warum ihm der HErr so hart gezürnt hat. Das Verrenken der Hüfte hieß