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warum dieser Heilige unter die Übelthäter gerechnet werden und ein solches Ende nehmen muß. Sie erinnert sich an die herrliche Thatenpracht ihres Kindes, wie das Meer, wie Wind und Satan Ihm haben gehorchen müssen, sie schaut in Sein Angesicht, und wahrlich, es paßt zu ihrem Herzen, was der heilige Sänger spricht:

„Du edles Angesichte,
Davor sonst schrickt und scheut
Das große Weltgewichte,
Wie bist Du so bespeit,
Wie bist Du so erbleichet,
Wer hat Dein Augenlicht,
Dem sonst kein Licht nicht gleichet,
So schändlich zugericht?“

 Ach, in welche Tiefen, in welche Dunkelheiten muß die fromme Mutter steigen! Mütter, die ihr je an dem Sterbebette eines Kindes gestanden habt: was waren eure Kinder gegen dieser Mutter heiligen Sohn! was litten eure Kinder auf ihren Totenbetten, wenn man ihre Leiden gegen diese Leiden des unschuldigsten aller Menschensöhne betrachtet! wie wenig verloret ihr an euren Kindern, gegen den Verlust dieser Mutter gerechnet! Und doch, welch einen Schmerz hattet ihr! Ich bitte euch, erwäget den Schmerz dieser Mutter neben dem Kreuz des heiligen Sohnes! Erwäget’s, wenn ihr’s könnet! Welch ein Herz ist dies Mutterherz, das solche Schmerzen trägt und aufrecht bleibt? Ist eine Mutter groß und standhaft, wie diese Mutter? Ist sie nicht eine Mutter, die zu einem solchen Sohne paßt? Wohl ist kein Weib auf Erden, wie dies Weib und, wo man solche Schmerzen so groß und edel tragen soll, da muß eine Gnade des heiligen Geistes im Herzen walten, um welcher willen der Engel richtig sagt zu Maria: „Gegrüßet seist du, du Gebenedeiete unter den Weibern!“

 Doch aber, was ist aller Ruhm eines Menschen gegen Deinen Ruhm, Du mein gekreuzigter HErr und Heiland? Er hängt am Kreuze in schwerer Arbeit: auf Seinen Schultern liegen die Sünden der ganzen Welt, die will ER ins Meer der Barmherzigkeit tragen und daselbst versenken, auf daß ihrer