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gezeigt wird, glauben sie eher, Gottes Wort lüge, als daß der Satan ihr Herz und Auge mit Blindheit geschlagen habe. Diese beiden jetzt genannten Gattungen sind bedauernswerte Leute, denen man wünschen muß, daß Gott ihnen einen Paulus ordiniere, aufzuthun ihre Augen.

 3. Bei andern ist es wieder anders. Viele nämlich spüren in ihrem Gewissen, daß Gottes Wort sie trifft, und das sind viele, vielleicht die meisten, denen es so geht, wenn der Prediger die Sünden der Menschen auslegt, ist’s gerade, als wenn in ihrem Herzen jemand spräche: der Mann bist du, der das gethan hat. Bei ihnen ist es, als wenn die Toten auferständen, wenn der Prediger redet, denn der Geist zeigt ihnen während der Predigt ihre alten, längst vergangenen Sünden wieder; von denen sie geglaubt hatten, sie wären längst gebüßt, abgethan, vergessen, die kommen wieder auf, und sie erschrecken, wie schlecht sie nach Gottes Wort sind. Allein weil sie ihre Ehre vor Menschen nicht verlieren wollen, weil sie meinen, ihr guter Name würde verloren gehen, wenn sie geständen, wer sie sind, weil sie zu viel zu bekennen hätten, weil sie sich zwar nicht schämen, heimlich, ja auch öffentlich zu sündigen, aber sich schämen, ihre Sünden einzugestehen, so wollen sie ihr schreiendes Gewissen damit überschreien, daß sie die Predigt und den Prediger lästern, sie wollen lieber die Predigt zur Lüge machen, als ihr Leben strafen, ob es gleich gewiß ist, daß wenn die Predigt nicht wahr ist, es dann auch für sie keine Rettung und keine Seligkeit mehr giebt.

 4. Wieder andere hätten zwar keine so groben Sünden zu gestehen, aber sie merken doch, daß auch sie nicht so gut sind, daß sie die Bekehrung nicht mehr brauchten, sie merken, daß, wenn das wahr ist, was der Prediger sagt, dann sind sie erst im ABC des Christentums, dann dürfen sie getrost von vorne anfangen, dann dürfen sie in Gottes Namen erst an Bekehrung denken, und das wollen sie nicht, da kommen sie aus ihrer bequemen Ruhe, aus ihrer Selbstachtung, aus ihrem Selbstgefühle, da müßten sie tiefer sich kennen lernen, als mit dem Stolz bestehen kann, da müßten sie sich weiter heruntersetzen, als ihnen lieb, da riskieren sie, je länger, je weniger sich achten