Seite:Wilhelm Löhe - Predigten für die festliche Hälfte des Kirchenjahres.pdf/322

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

nicht“. Möchte bei euch das Vorurteil verschwinden! Möchte euer Herz der Wahrheit geöffnet werden durch das Licht und die Kraft des heiligen Geistes.


II.

 Wenn es nun so ist, so kann man die Frage aufwerfen: Wenn alle Menschen Sünder und den ewigen Strafen anheimgefallen sind, warum predigt man denn das den Menschen? Wäre es nicht besser, man ließe sie gehen, wie sie wollen, da sie doch einmal verloren sind, man gönne ihnen die kurze zeitliche Freude, da ein ewiges Leiden ohnehin auf sie wartet? warum gönnt man ihnen die zeitliche Freude nicht, warum verbittert man ihnen denn auch diese durch die Predigt des Gesetzes, aus welcher doch nur Erkenntnis der Sünde kommt? Wenn man diese Fragen gegen die Prediger aufbrächte, so hätte man einen Schein der Rechtmäßigkeit, denn Menschen könnten freilich einmal auch etwas Ungeschicktes mit dem Gesetzpredigen machen, allein die Prediger, wenn sie anders sich nicht unverantwortliche Sünden aufladen wollen, müssen ja Gesetz predigen, das Gesetz ist ja Gottes Wort und es zu predigen Gottes Befehl.

 Man richtet also jene thörichten Fragen gegen Gott auf, man murrt damit wider JEsum und das sollte man nicht; denn ER ist ja nicht ein Mensch, daß ER Fehlerhaftes thäte, ER ist der Allerhöchste, vor welchem und vor dessen Weisheit jedermann sich beugen muß. Doch aber haben wir eine Antwort auf jene Fragen, eine Antwort, welche schön und barmherzig ist, und wert, von euch allen, meine Geliebten, mit rechter Aufmerksamkeit angehört zu werden.

 Nämlich der ganzen Antwort läßt sich der Spruch voraussetzen: „So wahr Ich lebe, spricht der HErr, Ich habe nicht Lust an des Sünders Tode.“ Der HErr ist ja barmherzig und gnädig, warum sollte ER denn der Menschen Verderben wollen? Ist’s denn wahrscheinlich, daß ER den Menschen ihr Verderben zeigen lasse, um sie dann mit desto größerem Schmerze in dasselbe hinabsinken zu lassen? das steht doch von Ihm nicht zu erwarten und darum auch von Seinen treuen Knechten nicht.