Es ist ein gewöhnlicher Vorwurf, den man den eifrigsten Predigern des Evangeliums macht, daß man sagt: „Sie verdammen alles“. Aber so gewöhnlich er ist, so ungerecht ist er zugleich, und ihn möchte ich, wenn es möglich wäre, heute widerlegen, und damit ein Hindernis wegschaffen, welches auch in dieser Gemeinde leicht die Seligkeit mancher erlösten Seele aufhalten könnte. Indem ich nun mich besann, was doch eigentlich mit jenem Vorwurf gemeint sei; so fand ich, daß es die Predigt des Gesetzes war und ist, von der man, wie vom Zaun, den erwähnten Vorwurf brach. Ich will daher einmal in aller Liebe euch heute eine Predigt von dem Gesetze halten, und zwar den ganzen Inhalt der Predigt in drei Teile zerlegen:
Der HErr verleihe selber meinen Worten Nachdruck und erleuchte durch dieselben eure Seelen, damit ihr euch kennen lernet und Jesu Christo, dem gnadenreichen Heiland entgegengehet. Amen.
Unter dem Worte Gesetz versteht man für gewöhnlich nichts anderes, als den Willen Gottes, nach welchem alle Menschen ihr Herz und ihren Wandel richten sollen und zwar, wie dieser Wille auf dem Berge Sinai in zehn Geboten geoffenbart ist,
Wilhelm Löhe: Predigten für die festliche Hälfte des Kirchenjahres. C. Bertelsmann, Gütersloh 1899, Seite 306. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Predigten_f%C3%BCr_die_festliche_H%C3%A4lfte_des_Kirchenjahres.pdf/318&oldid=- (Version vom 1.10.2017)