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Gottes Wort liest, aber sie ist auch nicht ein Tau, welchen die Menge der Menschen wegwischen könnte, sie bleibt auch in Gesellschaft, sie erweist sich gegen jedermann in Wort und That und achtet in jedem Menschenangesicht das Angesicht eines teuer Erkauften ihres Meisters, und legt sich einem jeden zu Füßen, dem sie dienen kann. Sie dient den Gläubigen, wie den Ungläubigen, den Hohen nicht minder gern, wie den Niedrigen, einem jeden anders, je nachdem es gut ist zu dem einen Zwecke, Schafe um JEsum und Herzen für Ihn zu sammeln. Sie ist ein Johannes der Täufer, wenn sie Buße predigt und achtet keines Menschen Person, und ist ein Johannes der Evangelist, wenn es gilt, Gott zu preisen in Christo JEsu, und ist ein glühender Paulus, wenn es gilt, alles zu verachten gegen der überschwenglichen Erkenntnis JEsu Christi, durch welchen ihr die Welt gekreuzigt ist und sie der Welt. Sie gönnt einem jeden Menschen das Beste und bleibt sich darum in ihrem Leben in Christo JEsu gleich und treu, auf daß an ihr erfunden werde, daß man in Ihm genug haben könne, und daß ein Mensch nichts weiter bedürfe, als den am Kreuz, nur Ihn! – Sie beharrt in ihrer Anfechtung und wird geläutert und bewährt, gereinigt und verklärt durch viele Anfechtungen zum Hochmut und Stolz in einer nichtswürdigen Welt. Sie kennt nichts Irdisches nach dem Fleisch, sie hat ihr Auge aufwärts gerichtet dorthin, wo ihr Herz längst daheim ist, wohin sie berufen ist, wohin sie abgeht durch den Tod, wo ihr eine Hütte gebaut ist auf dem ewigen Berge der Verklärung in der Nähe Gottes, zu schauen Sein Angesicht in Gerechtigkeit und Seinen ewigen Segen zu empfangen!

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 O Brüder! Schwache Worte für die schönste Tugend, für die schönste Frucht des Gesetzes und des Evangeliums! – Und ach, es ist ein großer Jammer! Denn diese Welt ist eine Welt voller Berge ohne Thäler, das ist, voll Hochmut, ohne Demut! Und wir sind auch in dieser Welt! Diese Demut ist so schön, und wir sind so weltförmig, das ist, es sind noch so viele Stücke Finsternis, so viel Hochmut in uns! Oder sollte ich unter euch der einzige sein, der Demut schön findet und in sich Hochmut sieht? Klagt außer mir niemand,