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bei allen ist etwas zu schlichten, alle haben also Streit und um was? Um Kleinigkeiten, so daß mehr verstritten als gewonnen wird! Und wird Frieden, wenn der Prozeß aus ist? Ach nein, der Groll und Grimm dringt nur noch tiefer in die Seele, sie werden niemals wieder Freunde, sie sind nach dem Streite ärgere Feinde als vor demselben, und gehen Gottes Gericht entgegen mit unversöhntem Herzen, also ohne Vergebung, also sie fallen in die Hände des lebendigen Gottes, und von denen steht geschrieben: „Es ist schrecklich, in die Hände des lebendigen Gottes fallen!“

 Woher kommt es denn nun, daß es so viele ungerechte Streite giebt (denn daß im Frieden Gottes hie und da ein Streit geführt werden müsse, leugne ich nicht)? Darauf antworte ich euch einfach: „Wenn die Menschen wüßten, was im Himmel für ein gefährlicher Prozeß unsertwegen geführt wird, so würden sie die irdischen Prozesse gerne liegen lassen, bis sie den Himmel gewonnen hätten, und wenn sie den gewonnen, so würden sie keinen irdischen mehr führen mögen, es wäre denn einer, der nach Gottes Wort geführt werden muß, also auch im Frieden Gottes geführt werden kann.“ Weil ihr mich aber wegen des himmlischen Prozesses nicht verstehen werdet, so will ich euch heute von diesem himmlischen Prozesse predigen, welcher ohnehin das Wichtigste ist, wovon man predigen kann. Dabei will ich immer meine Behauptung im Auge behalten, daß, wer weiß, wie viel er dort verlieren kann, das Irdische beiseite setzt, bis er den himmlischen gewonnen hätte, und daß, wenn er den gewonnen hätte, keinen irdischen mehr führen wollte.




 Zu einem Prozeß gehört:


I.

 Ein Gericht, wo nach strengen Vorschriften des Gesetzes entschieden wird, und die Prozesse geschlichtet. Ein solches Gericht ist auch im Himmel; dort liegen zu Grunde die ewigen Gesetze der zwei Tafeln, und worüber abgeurteilt wird, das ist Leben und Tod. Geh nicht ins Gericht mit Deinem Knecht, denn vor Dir ist kein Lebendiger gerecht (Ps. 143, 2). In