Apg. 20, 35. Ich habe es euch alles gezeiget, daß man also arbeiten müsse, und die Schwachen aufnehmen, und gedenken an das Wort des HErrn JEsu, das ER gesagt hat: Geben ist seliger, denn nehmen.
„Ich kann mit dem Meinigen thun, was ich will; ich kann Almosen geben, wenn ich will, und wenn ich nicht will, kann mich kein Mensch nötigen; es steht ganz in meinem freien Willen.“ Diese und dergleichen Redensarten hört man oft genug; aber so gewöhnlich sie sind, so sind sie darum doch weder schön, noch wahr. Es ist zwar freilich wahr, daß dich kein Mensch zum Almosengeben zwingen kann, wie dich auch kein Mensch überhaupt zu etwas Gutem zwingen kann, etwa zur Bekehrung oder zu des etwas. Allein gleichwie du sündigst, wenn du dich nicht bekehrest, oder sonst etwas Gutes unterlässest, so sündigst du auch, wenn du nicht Almosen giebst; und wer es unterläßt, hat wohl einen frechen, aber keinen freien Willen. Gott ist der höchste HErr aller Menschen, ER giebt das Vermögen, aus dem man Almosen geben soll, und dazu ein Gebot, daß man geben soll; es ist nicht dein, was du hast, sondern Gotte gehört alles das Deinige, und nach Seiner Vorschrift mußt du damit verfahren, wenn du nicht zeitlich und ewig gestraft werden willst. Nach Seinem Worte liegt es gar nicht an dir, ob du Almosen geben willst oder nicht, sondern der Arme hat ein Recht darauf, der Arme ist dein Gläubiger, und wenn du ihm Almosen weigerst, verklagt er dich bei Gott, und du bist vor Gott ein Dieb. So ist’s
Wilhelm Löhe: Predigten für die festliche Hälfte des Kirchenjahres. C. Bertelsmann, Gütersloh 1899, Seite 232. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Predigten_f%C3%BCr_die_festliche_H%C3%A4lfte_des_Kirchenjahres.pdf/244&oldid=- (Version vom 1.10.2017)