werden sehen, das wird eine Freude sein, – nicht wahr, Du lieber, großer Gott! Den Deinigen bist Du ja nicht fürchterlich, geschlachtetes Lamm, unsere Zuversicht! Aber Saulus, – da er Dich an der Brücke sah, da Du Damaskus segnetest, ach, er war Dein Feind! Darum erschrak er, darum fiel er zu Boden, darum ward er blind, darum sah er nicht mehr, bis daß er rief: Hosianna!
Liebe Seelen! Was dem Paulus bisher unsichtbar war, das sah er an jenem Tage, an welchem es dem HErrn gefiel, ihn zu erleuchten. JEsum sah er, den er unter die Toten, ja unter die Übelthäter, selbst unter die Verfluchten gerechnet hatte. Er war der einzige Ungläubige, welcher Ihn nach Seiner Auferstehung mit leiblichen Augen sehen durfte, der einzige, der nicht Lust hatte zu glauben und, damit er eines Apostels Zeichen hätte, durch Schauen zum Glauben kam. – O Brüder! Zwar ist es uns verordnet, daß wir durch Glauben und nicht durch Schauen selig werden sollen. Aber der Glaube ist doch auch ein Schauen, ein Schauen des Geistes in Dinge, welche der Welt verborgen sind. Am Tage, da wir vom Wort und Geist des HErrn umleuchtet werden, schaut unsere Seele, was sie vorher nie gesehen hatte, die Herrlichkeit im Kreuz, eine Herrlichkeit als des eingeborenen Sohnes vom Vater. Die Welt kann’s nicht erkennen, denn es ist nicht möglich, daß man durch eigene Vernunft und Kraft JEsum Christum erkenne! Das Auge ist blind von Natur, und die Vernunft ist verfinstert von Geburt her; aber der HErr giebt Auge und Vernunft der Kirche, wie sie bei keinem Weltweisen sich finden; der HErr giebt einen neuen Sinn, der da geschaffen wird zu Ehren des Gekreuzigten und Seiner Kreuzesherrlichkeit und zum Heil der Seelen!
Ferner, Brüder, was dem Paulus vorher sichtbar war, dafür erblindet er an der Brücke bei Damaskus. Die ganze sichtbare Welt verliert den Schein, sein Auge hat den HErrn gesehen, des HErrn Glanz hat seines irdischen Auges Glanz ausgelöscht, nur ein Bild steht ihm noch vor Augen, das kann er nicht vergessen: der HErr, der ihm in himmlischer Klarheit erschienen war! – So ist’s, Seelen! Wenn der
Wilhelm Löhe: Predigten für die festliche Hälfte des Kirchenjahres. C. Bertelsmann, Gütersloh 1899, Seite 148. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Predigten_f%C3%BCr_die_festliche_H%C3%A4lfte_des_Kirchenjahres.pdf/160&oldid=- (Version vom 1.10.2017)