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über die Menge der offenbarten Herrlichkeit des HErrn! Man freut sich zitternd – und zittert in seiner Freude! Man betet an aus weiter Ferne und ist Ihm nahe in seliger Liebe! Wer’s fassen kann, der fasse es!


V.

 Als Maria ihren Sohn gefunden hatte, sprach sie zu Ihm: „Mein Sohn, warum hast Du uns das gethan? Siehe, Dein Vater und ich haben Dich mit Schmerzen gesucht!“ Diese Frage ist eine Frage der innigsten, vertraulichsten Liebe, als hätte Maria sagen wollen: Ach, ich begreife Dich nicht, Du liebes Kind! Welche Schmerzen hast Du uns gemacht! Hast Du doch sonst, solange Du lebst, uns weder Kummer noch Schmerz gemacht. Ach, was hast Du denn für eine große Ursache gehabt, Deine Eltern so zu betrüben? Warum mußte das sein? – Eine zarte, liebreiche Frage, auf welche eine große, himmlische Antwort folgte, welche aus dem Munde des heiligen Kindes über alles majestätisch und doch so liebenswürdig klingt. „Was ist’s,“ spricht ER, „daß ihr Mich gesucht habt? Wisset ihr nicht, daß Ich sein muß in dem, das meines Vaters ist?“ Als wollte ER sagen: Mutter, wenn Ich bei dir nicht bin, wo kannst du Mich sonst noch suchen, als in dem, das Meines Vaters ist? Kann Mir außer deinem Hause ein Haus lieber sein, als Sein Haus? Und das wirst doch du mir nicht verargen, daß ich Sein Haus deinem Hause vorziehe? Weißt du’s nicht? Denk an die Anbetung der Weisen, denk an die Engel und ihren Gesang in Meiner Geburtsnacht, denk an die Worte des Engels, die Meine Geburt angekündigt haben! O Mutter, o lieber Vater Joseph! Wisset ihr’s denn nicht, daß Ich in dem sein muß, das Meines Vaters ist? Ihr fragt, wo Ich sein könne. Ihr sucht Mich wo anders, ihr! O wisset ihr nicht? – Da standen die lieben Eltern – staunend und verstanden’s nicht. Ihr Kind war ihnen allewege voran!

 Liebe Seelen! So, wie Maria fragte: warum? so fragt, wer Ihn nach langem Suchen endlich fand, gar oft. „Ich habe Dich mit Schmerzen gesucht! Warum?“ Warum habe ich so lange warten müssen, bis Du mich fandest, bis ich Dich