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Wilhelm Löhe: Meine Suspension im Jahre 1860. Acht Wochen aus dem Leben eines Landeskirchlichen Pfarrers

nach seine ganze Pfarrverwesung beschränken sollte. Der Bräutigam hatte nemlich Miene gemacht, sich in dem ziemlich entlegenen Pfarrorte der Braut trauen zu laßen, und schien ganz versichert, daß der dortige Pfarrer ihn unbedenklich trauen würde. Das konnte nun sogleich geschehen, ich aber alsbald wieder in die Ausübung meiner pfarramtlichen Funktionen zurücktreten. Die ganze Suspension konnte dadurch möglichen Falles wieder aufgehoben sein, ehe sie nur bekannt wurde. Als nun aber dem Bräutigam das Dimissoriale, welches ihn zu einer auswärtigen Trauung berechtigen sollte, vorausgesetzt, daß er sich zu derselben verstand, überantwortet werden wollte; erklärte er, daß er auswärts nicht getraut werden wolle, sondern in der Pfarrkirche der Gemeinde ND., zu welcher er annoch gehöre. Da sich jedoch die Kirchenvorstände der Gemeinde ND. schon vor Ausspruch der Suspension, am 25. Juni 1860, bei dem Dekanate W. zu Protokoll dagegen verwahrt hatten, daß N. N. in einem der Gotteshäuser der Pfarrei getraut würde, und nach der Suspension fast die ganze Gemeinde in gleichem Sinne wie Ein Mann stand; so verlängerte sich die Suspensionszeit schon dadurch. In Berücksichtigung der offenkundigen Gesinnung der Gemeinde ND. wurde nun der Pfarrer der Heimathsgemeinde der Braut ausnahmsweise zur Vornahme der Trauung ermächtigt, dem Bräutigam aber überlaßen, bei dem Pfarrer seiner Braut die Trauung nachzusuchen. Die Trauung selbst trat damit in den Hintergrund, und ohne fernere Berücksichtigung derselben wurde am 30. Julius der Auftrag gegeben, die Suspension, welche eigentlich zum Behuf der Erlangung eines pfarramtlichen Dimissoriums angeordnet worden war, wieder aufzuheben. – Damit trat aber die Sache in ein neues Stadium. Ich hatte nemlich die Suspension zwar vorausgesehen und vorausgesagt, wie es jedermann konnte und that; da sie aber eintrat, fühlte ich erst den vollen Ernst der Sache. Nicht die kirchlichen Obern hatte ich anzuklagen, welche im Gegentheil alles gethan hatten, was von ihrem innern und äußeren Standpunkte aus zur glimpflichen Erledigung der Sache möglich war; aber ich fühlte nicht blos recht tief und schmerzlich die harte Lage eines landeskirchlichen Pfarrers, sondern auch die Schwierigkeit meiner ferneren Amtsführung in der Gemeinde ND., welche sich zwar dem größten Theile nach, wie früher in ähnlichen Fällen, so auch diesmal sehr richtig benahm, in welcher aber auch durch die Suspension die kleine Partei der

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Wilhelm Löhe: Meine Suspension im Jahre 1860. Acht Wochen aus dem Leben eines Landeskirchlichen Pfarrers. C. H. Beck’sche Buchhandlung, Nördlingen 1862, Seite 2. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Meine_Suspension_im_Jahre_1860.pdf/6&oldid=- (Version vom 1.8.2018)