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Wilhelm Löhe: Meine Suspension im Jahre 1860. Acht Wochen aus dem Leben eines Landeskirchlichen Pfarrers

Nach der Suspensionshandlung saßen der suspendierende Dekan und der neubestellte Pfarrverweser, wie sonst oftmals, bei mir in traulichem Gespräche über andere Dinge. Als ich die trauten Männer bis zur Pforte begleitete, sagte ich scherzend zum ersteren: „Erinnerst Du Dich an St. Paulus in Philippi? Er gieng nicht aus dem Gefängnis, bis ihn die Herren herausführten. So ists bei mir, du mußt bald wiederkommen und mich holen.“ Den Ernst im Scherze nicht verstehen wollend, sagte der treue Vorgesetzte: „Wenn sich die Sache in den nächsten Tagen erledigt, kann ich nicht gleich selber wiederkommen, der Amtsgeschäfte halber.“ Wie ich dortmals fühlte, fühlte ich je länger je mehr. Jetzt wars meiner Meinung nach an der Zeit, gegen den Bräutigam mit der Zucht hervorzutreten. Das Kirchenregiment konnte ihn kennen lernen und lernte ihn immer beßer kennen; daher bat ich auch, nicht um eine Excommunication, – aus oben erwähnten Gründen, – sondern um einen unmisverständlichen Satz in einem gewöhnlichen bureaukratischen Rescripte, den ich brauchen konnte und durfte, wenn ich es für nöthig hielt. Wenn ich statt dessen nach der Meinung anderer das Zuchtverfahren einleiten sollte, wie man es in anderen Fällen nach Vorschrift thun muß; so fand ich das ganz und gar nicht an der Zeit. Das hätte wie Rache ausgesehen, hätte einen unlauteren Eindruck bei der Gemeinde gemacht. Wenn dann späterhin einer in der Gemeinde versucht ward, seinen Grimm in die Form Rechtens einzukleiden, konnte er Aergernis an dem Verhalten des Pfarrers nehmen. Die Zeit konnte ja kommen, da ich mit dem Manne, sofern er selber wollte, einen Gang vor das bestehende geistliche Zuchtgericht machte; annoch mußte es aber beruhen.

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 So wie ich in Anbetracht des Bräutigams ein züchtigendes Wort der Oberbehörde gewünscht hätte, nicht um meinetwillen, sondern um des Mannes willen und um des Amtes willen, das ich an ihm thun sollte; so wünschte ich aus gleichen seelsorgerischen Gründen ein Wort der Behörde, das ich gegenüber der Partei gebrauchen konnte, zu welcher der Bräutigam gehörte. Diese Leute hatten gute Lust, sich als die frommen und getreuen Kinder der Kirche zu gebärden, denen nun auch die kirchlichen Behörden Beifall gäben. Da nun gerade landeskirchliche Behörden auf dem bureaukratischen Wege so oft in den Fall kommen, von Leuten als Schutzherren angesehen und gelobt zu werden, deren Lob keine Ehre ist; so war es nicht weniger im Interesse der Behörden,

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Meine Suspension im Jahre 1860. Acht Wochen aus dem Leben eines Landeskirchlichen Pfarrers. C. H. Beck’sche Buchhandlung, Nördlingen 1862, Seite 31. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Meine_Suspension_im_Jahre_1860.pdf/35&oldid=- (Version vom 1.8.2018)