Seite:Wilhelm Löhe - Meine Suspension im Jahre 1860.pdf/32

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Wilhelm Löhe: Meine Suspension im Jahre 1860. Acht Wochen aus dem Leben eines Landeskirchlichen Pfarrers

fungiren. Er fühlte zu lebhaft, wie die Gemeinde, das Unrecht vor Gott, welches in der Suspension lag. Der Grundsatz der alten Lutheraner, da nicht zu fungieren, wo der rechtmäßige Hirte mit Unrecht des Amtes enthoben war, regierte ihn, so klar es auch ihm dabei war, daß es auf dem Wege der landeskirchlichen Bureaukratie zur Suspension kommen mußte. Da mußte denn der aufgestellte Pfarrverweser, bis für die Verlegenheit eine neue Ordre eingetroffen sein würde, sich zu einem höchst unbequemen Versuch, in der Gemeinde N.D. zu amtieren, herbeilaßen. Er, der so oft in Lieb und Güte, so viele hundert Male zu seinem persönlichen Freunde, dem Pfarrer, dessen Ueberzeugungen er aber nicht alleweg, auch in Sachen des Dimissoriums, theilte, gekommen war, mußte sich nun mit Weh und Leid als Verweser in sein liebes Nachbardorf begeben, in welchem die Gemeinde die Erklärung abgegeben hatte, keinen Verweser anerkennen zu wollen. Die Glocken läuteten zur Kirche: niemand kam, es war still im Dorfe, wie wenn die Glocke bloß zu dem Gebete in den Häusern erinnern sollte. Man hielt Hausgottesdienst, in der Kirche selbst war nur eine kleine Anzahl von Menschen, 30–40 sagte man, bestehend aus einer Anzahl von Gästen, die hören und schauen wollten, und aus einer kleinen Anzahl von Menschen, die entweder nicht wußten, was sie wollten, oder die da glaubten, es sei die langersehnte Zeit gekommen, welche einen anderen Pfarrer und eine andere Amtsführung brächte. In etlichen Blättern stand, daß die Missionsschüler von N.D., die Hüte auf dem Kopf, während des Gottesdienstes in die Kirche gedrungen seien und durch den wiederholten lauten Ruf Amen! Amen! den Prediger zum Schluß genöthigt hätten. Und das wurde in Kreißen geglaubt, die von einer ganz anderen Gesinnung beseelt sind, als von der des Menschen, welcher den muthwilligen Schwank und die Lüge ersann! Das Wahre an der Sache war dies. Ein frommer und wohlwollender Mann hatte in aufrichtiger Sorge, daß doch ja alles auf das würdigste und ruhigste hergienge, ein paar Missionsschüler beauftragt, beim Vorübergehen in die Kirche zu sehen und sich zu überzeugen. Das thaten sie, allerdings unkluger Weise, und das wurde ihnen von der Partei, die sich, den Bräutigam in der Mitte, in der Kirche versammelt hatte und nun auch einmal seit Jahrzehenten darin Herrin war, übelgenommen, zu lärmendem Schimpfen auf der Straße und zu einer Klage beim Decanate ausgebeutet. Wenn so etwas Ursache zu Klagen geben sollte, wie oft hätte ich da selbst in

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Meine Suspension im Jahre 1860. Acht Wochen aus dem Leben eines Landeskirchlichen Pfarrers. C. H. Beck’sche Buchhandlung, Nördlingen 1862, Seite 28. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Meine_Suspension_im_Jahre_1860.pdf/32&oldid=- (Version vom 1.8.2018)