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und Gottverlassenheit (Matth. 27, 46) gezeigt wird? In solchen Schrecken ist der Mensch nicht geschickt, auszuwählen, was auf ihn in der h. Schrift geschrieben steht; er bezieht alsdann alle Drohungen und Strafen Gottes auf sich – denn nur diese scheinen ihm nach seinem durch Anfechtung verblendeten Verstand für seine Seele zu passen. Gleichermaßen findet er dann in den Predigten nur das als für ihn gesagt, was, wie ein Schwert einschneidend, sein armes Herz noch mehr in dem Gedanken stärkt, daß es verloren sei, – und es beschleicht ihn, ich weiß nicht, welch’ eine fürchterliche Wollust, Gottes Fluch in seine Seele zu drücken und sein Herz bluten, seine Hoffnung sterben zu sehen – und in der grauenvollen Trübe des peinigendsten Elends zu liegen. Einem Menschen in solcher Anfechtung mag ein Prediger auf der Kanzel noch so gewaltig Gnade oder Vergebung predigen; er ahnt wohl, welch’ eine Seligkeit in dieser Botschaft liegen mag, – aber der Geist der Anfechtung lehrt ihn gerade aus dem Evangelio erst die rechte Seelenpein zu nehmen; er betrachtet die gepredigte Vergebung als ein schönes Paradies – spricht aber, wenn er sich dasselbe in aller Lieblichkeit vor Augen gestellt hat, zu seiner Seele: „Ein Paradies, aber nicht für dich! Für dich verloren! – – So ist die Kanzel, wo nicht Gottes besondere Gabe hier und da waltet, zu hoch für die, welche unter ihr sitzen, und das Wort der Predigt zu allgemein und fährt in der Regel über die

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Einfältiger Beichtunterricht für Christen evangelisch-lutherischen Bekenntnisses. Kommissionsverlag der Buchhandlung der Diakonissenanstalt, Neuendettelsau 1900, Seite 57. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Beichtunterricht_(4._Auflage).pdf/59&oldid=- (Version vom 17.7.2016)