Seite:Wilhelm Eichhorn - Einsegnungsunterricht 1912.pdf/107

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Freudigkeit muß unbedingt überwiegen. Sollten wir nicht mit Simeon, der den Herrn nur als Kindlein auf dem Arme hielt, auch sagen dürfen: „Herr, nun lässest Du deinen Diener in Frieden fahren, denn meine Augen haben Deinen Heiland gesehen.“ Freuen sollen wir uns auf unsern Heimgang, dann werden wir auch Freudigkeit haben, ganz besonders in unserem Leidensstand, dann werden wir in schwerstem Leid, wie es uns auch treffen mag, uns dessen freuen können, daß der Herr uns einstmals wird von allem Übel erlösen und daß eine Ruhe aufbewahrt ist dem Volke Gottes. Freudigkeit werden wir dann auch haben dürfen in Beziehung auf die Arbeit an uns selbst. Soviele der Mängel an uns bleiben, es kommt die Zeit, wo es kein Leid und Geschrei mehr gibt, wo es auch heißt: „Herz freu dich, du sollst werden vom Elend dieser Erden und von der Sünden Arbeit frei.“ Doch, es gibt allerdings auch ein falsches Sehnen nach dem Heimgang, das etwa nur der Unlust in der Ertragung von Mühsal entspringt und das in ungesunder Weise allzufrühe nur immer vom Ausgang und Heimgang redet. Der Apostel sieht es anders an. Er sagt, ihm liege beides hart an, er freue sich abzuscheiden, müsse sich aber auch sagen, daß es besser sei im Fleisch bleiben um der Kirche Christi willen. Es soll der Gegenstand unserer Freude die Arbeit für das Reich Christi sein. Wir dürfen uns freuen und dürfen wünschen, daß uns noch ein weiterer Arbeitstag möchte beschert sein. Wir sollen also nicht in ungesunder Weise mit der Sehnsucht nach dem Heimgang spielen und vollends soll unser Verlangen nach Ruhe kein egoistisches sein, d. h. nicht an uns selber sollen wir dabei denken, sondern unser Blick soll vielmehr immer auf die Vollendung des Reiches Gottes im ganzen gerichtet sein. Auf Seines Reiches Vollendung sollen wir uns freuen und das ist der eigentliche Gegenstand unseres Verlangens, daß Christi Reich bald zur herrlichen Vollendung komme. Das gibt uns dann volle Freudigkeit, das hilft uns alle Unvollkommenheit dieses Lebens freudig zu ertragen, das stärkt uns in der Arbeit fürs Reich Gottes. Wir sollen uns freuen, daß wir wissen, es kommt die herrliche Vollendung des Reiches Christi, das auch unsere Vollendung mit sich bringt.

.

 Darum bleibt gewiß das Lied „von der hochgebauten Stadt“, wie auch der letzte Vers des Diakonissenliedes groß und herrlich, aber größer und weitausschauender ist doch das Lied des Philipp Nikolai: „Wachet auf, ruft uns die Stimme etc.“, in dem die Vollendung des Reiches Christi und das Kommen des Verheißenen allein den Gedankengang beherrscht. Die Christen denken bei ihrer Hoffnung viel zu sehr nur an die Seligkeit, die wir selbst in der jenseitigen Welt im Himmel haben werden. Das ist nur die Zwischenzeit, die eigentliche Freude, das eigentliche Verlangen soll sich auf die einstige Vollendung aller Dinge richten, wo auf einer neuen Erde sich das Reich Jesu Christi wird gestalten. Da wird dann hinausgeführt sein, was Gott von Anfang an gewollt hat: In einer Welt Gottes wird eine Menschheit Gottes sein. Und