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Doch hat diese Hoffnung der alttestamentlichen Gläubigen mehr die Art wartender Geduld gehabt. Es ist etwa so, wie wenn ein verirrter Wanderer sich bescheiden muß, die Nacht unter freiem Himmel zu verbringen. Er darf warten, bis der Morgen graut und ab und zu seinen Blick erheben zu den Sternen, ob ihr Stand nicht das Nahen des Morgens verkünde. Wenn dann der Morgen tagt, das Frühlicht erglänzt, wird das bisherige geduldige Harren zur großen Freudigkeit. Ähnlich ist es im Alten Testament. Die Weissagung des Alten Testaments bezog sich der Hauptsache nach auf das Kommen des längst Verheißenen, der sich zuletzt darstellt als der Davidssohn, als der große Knecht Jehovas, als der verheißene König und Hohepriester. Aber es wird auch im Alten Testament genugsam geweissagt von dem Reich des Verheißenen und zumal, seitdem das Königtum aufgerichtet war, tritt dieser Gedanke des kommenden Reiches vielfach in den Vordergrund. Der älteste der Schriftpropheten, Obadja, schließt seine Weissagungsschrift mit dem schönen Ausruf: „Das Königreich wird des Herrn sein.“ Und so hat Jesaia das königliche Herrschen des Verheißenen beschrieben, von dem er ausrufen kann: „Uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns gegeben, dessen Herrschaft ist auf seiner Schulter.“ Bei demselben ältesten Schriftpropheten tritt ein anderer wichtiger prophetischer Begriff auf. Es ist der Begriff „des Tages des Herrn“. „Es kommt ein großer Tag, der des Herrn Tag sein wird.“ Da wird Gott das letzte Wort sprechen in der Geschichte und es wird dann alles unter Seiner Herrschaft zusammengefaßt sein. Da wird dann der Zustand der Dinge eingetreten sein, den Gott von Anfang an gewollt hat, daß nämlich Gott wirklich herrscht auf Erden unter den Menschen, daß diese Welt eine Welt Gottes, Sein Herrschaftsgebiet geworden ist und zwar durch den Dienst der Menschen, die Ihn als ihren Herrn erkennen. Das ist der Gedanke des großen Tages und des Reiches Gottes, der im Alten Testament schon deutlich hervortritt. Mit dieser Weissagung tritt das Alte Testament an die Schwelle des Neuen. Aber hier tritt nun allerdings im Lichte der der Hauptsache nach geschehenen Erfüllung manches auseinander, was im Alten Testament noch ineinander lag und darum nicht zur völligen Klarheit hatte gelangen können. St. Paulus ruft im 2. Korintherbrief aus: „Jetzt ist die angenehme Zeit, jetzt ist der Tag des Heils.“ Und so hat der Herr selbst zusammengefaßt: „Die Zeit ist erfüllet, das Reich Gottes ist herbeigekommen.“ Aber obwohl der Tag des Heils erschienen ist, so redet doch der Apostel auch noch von einem großen Tag, der da kommt. Und der Herr selbst spricht wiederholt von jenem großen Tag, der erst noch kommen wird. Ja, Römer 13, in der bekannten Adventsepistel stellt es der Apostel so hin, daß gegenüber der Herrlichkeit des großen Tages, der kommt, der jetzt schon angebrochene Tag des Heils noch wie finster erscheint. „Die Nacht ist vergangen, der Tag nahe herbei gebrochen,“ ruft er dort aus. Jesus ist erschienen, einmal in Niedrigkeit wegzunehmen Vieler Sünde, das andere Mal „wird Er ohne