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Entstehen und Bestehen das eine durch das andere bedingt, hat verschiedene Beziehungen, äußert sich in verschiedenen Formen und Funktionen und hat verschiedene Rückwirkungen auf die eigene Stimmung und das eigene, sei es inneres oder äußeres Selbstverhalten. Wie ich nicht durch Liebe und Hoffnung zum Glauben komme, sondern durch Glauben zu Liebe und Hoffnung, so ist auch glauben etwas anderes als lieben, lieben etwas anderes als hoffen, und hoffen etwas anderes als glauben und lieben. Zum Glauben komme ich, wenn ich durch Wirkung des Gewissens, des Gesetzes und des Evangeliums den Glauben an mich verlerne; zur Liebe nur dann, wenn ich zuvor den Glauben an Gottes Liebe in Christo gewinne und zur Hoffnung nur dadurch, daß ich im Glauben eines Gutes gewiß geworden bin welches hienieden der bleibenden Sehnsucht meiner Liebe wert ist und ihr Gegenstand zu werden die göttliche Bestimmung hat. Und auch die Beziehungen, wie die Formen und Funktionen, in welchen Glaube, Liebe und Hoffnung sich bewegen und ihre aktuelle Existenz haben, sind verschieden. Der Glaube hängt am verheißenden Wort, die Liebe an dem gebenden Gott, die Hoffnung am verheißenen Gut. Der Glaube nimmt und hat, die Liebe gibt, die Hoffnung harrt. Der Glaube macht das Herz fest, die Liebe weich, die Hoffnung weit. Der Glaube hält fest am Empfangenen, die Liebe entäußert sich des Empfangenen, die Hoffnung triumphiert über das Mangelnde. Der Glaube macht uns geschickt zur Herrschaft über diese Welt, die Liebe zum Dienst für diese Welt, die Hoffnung zum Verzicht auf diese Welt. Der Glaube ruht in dem, worin er für diese Zeit volle Genüge hat, die Liebe tut und schafft in dem, worin sie sich nie genug tut, die Hoffnung verliert sich in das, was sie über alle Genüge und Ungenüge dieser Welt hinaushebt. Der Glaube ist die Zuversicht dessen, was man hofft, die Liebe der Erweis davon, was man glaubt. Die Hoffnung die dem Ziel voraneilende Besitzergreifung dessen, was man im Glauben lieben und ersehnen gelernt hat. Der Glaube ist, was er zu sein im Schauen aufhört, die Hoffnung ist, was sie zu sein im Vollbesitz aufhört, Die Liebe ist, was sie zu sein nie aufhört; denn Gott ist die Liebe.“

 Nach diesen Vorbemerkungen dürfen wir reden:

Von der christlichen Hoffnung und der mit ihr gegebenen Freudigkeit.

 Und zwar sprechen wir zuerst davon, was die christliche Hoffnung ist. Als wir vom Glauben sprachen, haben wir von den Gläubigen des Alten Testaments gesagt, daß ihr Glaube vorherrschend die Gestalt der Hoffnung getragen hat. Das leidet gewiß keinen Zweifel und die Gläubigen des Alten Testaments bleiben darin groß, daß sie imstande waren auszuharren in dem, was doch nur Gegenstand ihrer Hoffnung sein konnte, daß Abraham zu leben vermochte in dem verheißenen Land als in einem fremden, daß sie warten konnten auf eine künftige Stadt, deren Schöpfer und Baumeister Gott sei.