Seite:Wilhelm Eichhorn - Einsegnungsunterricht 1912.pdf/100

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

zu Wittenberg nach akademischem Brauch seiner Zeit die 95 Sätze anschlug von Macht und Gewalt des Ablasses. Wir haben in dem Vortrag über die Beichte davon gesprochen, daß der erste dieser 95 Sätze wahrhaft reformatorische Kraft in sich schließt, daß in ihm der Punkt berührt ist, in welchem die Schäden der mittelalterlichen Kirche sich vereinigten, in der Lehre von der Buße, der dann Luther die wahrhaft evangelische Auffassung gegenüber stellt, „daß das ganze Leben der Gläubigen eine fortwährende Buße sein muß“.

 Wir reden zum Schluß von Glaube, Liebe und Hoffnung als den innersten Kraftquellen für den Christenstand und Diakonissenberuf. Wir können sagen: Durch die Reformation ist klar geworden, was der Glaube ist, ist klar geworden, in welchem Verhältnis Glaube und Liebe zueinander stehen. Wie ist es nun mit der Hoffnung? Liegt nicht hier ein schwacher Punkt der reformatorischen Entwicklung vor, an welchen eine gewisse Weiterentwicklung wird anknüpfen müssen? Und doch muß von Luther selbst ein Doppeltes gesagt werden. Er hatte eine lebendige Erkenntnis von dem, was das Reich Jesu Christi ist und er gebraucht den Ausdruck „Christi Reich“ mit Vorliebe. Die späteren Theologen unserer Kirche haben vielfach über der gegenwärtigen Kirchengestalt, die sie zu bauen und zu pflegen hatten, den weiteren Begriff des Reiches Gottes vergessen, so daß ihr Blick mehrfach verkürzt gewesen ist und sie zum Beispiel für die Missionsaufgabe der Kirche kein Verständnis hatten. Und Luther spricht auch noch besonders gern und häufig von unseres Herrn Jesu Christi Tag und wir haben von ihm das schöne kurze Gebet um den lieben jüngsten Tag. So war Luthers Blick allerdings auf den Ausgang, die Vollendung der Kirche Christi gerichtet, wenn er auch darin irrte, daß er das Ende viel näher glaubte und daß er seine Botschaft und sein Zeugnis für die letzte Gnadenposaune vor dem jüngsten Tag erachtet hat. Von Glaube, Liebe und Hoffnung haben wir zum Schluß unserer Vorträge geredet. Es sei mir vergönnt, zur weiteren Einleitung des noch Kommenden einen Abschnitt mitzuteilen aus einem Werk eines besonders entschiedenen, hervorragenden Lutheraners, in welchem Luthers Art in seltener Weise lebendig war. Es ist der sel. Harleß, dessen Namen ich schon genannt habe. Harleß wird mit vollem Recht der Erneuerer der lutherischen Theologie nach seiten der wissenschaftlichen Darstellung genannt. Er ist auch ein Erneuerer des lutherischen Kirchentums in der bayerischen Landeskirche gewesen. Es ist ihm gelungen, innerhalb 3 Jahren der kirchlichen Gestaltung unserer Landeskirche einen gewaltigen Schritt vorwärts zu ermöglichen. Freilich fiel er bald nach oben hin in Ungnade und hat durch Jahrzehnte hindurch ohne viel Einfluß auf die kirchlichen Dinge bleiben müssen. – Er spricht sich in seiner Ethik ganz besonders schön aus über das Verhältnis von Glaube, Liebe und Hoffnung. Er sagt dort:

„Obwohl diese dreifache Wirkung der einen und einheitlichen Wurzel des evangelischen Verheißungswortes entstammt, so ist doch bei dem inneren