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 Wie ist nun diese Versöhnung und Erlösung durch das Blut Jesu Christi näher zu denken? Im gemeinen Glauben der Kirche stand vom Anfang an fest, daß wir erlöst sind durch Christi Tod. Das volle und umfassende Verständnis war nicht alsbald und nicht immer da. Die ältesten Väter vertraten hauptsächlich den Gedanken, daß Christus da einen Kampf geführt hat wider den Teufel. Dieser hatte – so faßte man es auf – ein Recht an den Menschen erlangt; dafür überläßt ihm Gott nun die Seele des Menschgewordenen; da diese aber heilig ist, kann der Tod sie nicht halten und so sieht sich der Satan betrogen. Etwas Richtiges ist an diesen Gedanken ja wohl auch. Sie kommen im Osterliede Luthers einigermaßen zum Ausdruck: wie ein Tod den andern fraß; ein Spott aus dem Tod ist worden. Andere Väter heben schon mehr den Gedanken des Opfers hervor. Gott hat den Tod verhängt; er mußte vollzogen werden, sonst wäre Gott nicht wahrhaftig. So gab sich der Herr freiwillig in den Tod und drang zum eben hindurch. Dieser Gedanke des neuen Lebens zu dem der Herr durch Tod und Auferstehung hindurchdrang, wird auch anderwärts stark hervorgehoben und auch daran ist etwas Richtiges. Den ersten Versuch einer zusammenhängenden, wie man sagt, systematischen, lehrhaften Darlegung der Versöhnung hat Anselm von Canterbury, † 1109, gemacht. Er stammte aus lombardisch-deutschem Geschlecht aus Oberitalien; seine Mutter war eine Frau deutschen Namens. Er schrieb das Büchlein: „Cur Deus homo,“ Warum Gott Mensch ward. Er legt zum ersten Mal den Gedanken der Versöhnung im Zusammenhang dar. Den Gedanken eines Rechtes des Satans an die Menschen lehnt er ab und ebenso den Gedanken eines Betrugs, gleichsam einer Täuschung, in der der Satan gehalten worden sei. Er hebt dagegen sehr hervor den Gedanken der Schuld. Er lehrt etwa so: Die Verletzung der Ehre Gottes hätte nur ein Doppeltes nach sich ziehen können, Strafe oder Genugtuung. Hier trat sich entgegen die göttliche Heiligkeit und die göttliche Barmherzigkeit und die göttliche Weisheit fand nun den Ausweg in der Versöhnung durch Christi Tod. Es ist viel Richtiges daran, nur in manchem zu äußerlich gedacht und gefaßt. So wird der Gedanke der verletzten Ehre Gottes doch wohl auszuschalten sein. Auch die Bedeutung des Lebens Christi und seiner Auferstehung tritt hier zu sehr zurück. Auf der Linie Anselms haben sich im ganzen unsere lutherischen Väter gehalten; doch haben sie nicht nur von der Genugtuung gesprochen, von der Erleidung der Strafe; sie nahmen auch das Leben Christi hinzu und unterscheiden den tätigen und den leidenden Gehorsam. Der tätige Gehorsam bestehe darin, daß Christus durch die Erfüllung des Gesetzes und durch die Betätigung vollkommener Heiligkeit in allen menschlichen Verhältnissen das Gesetz vollkommen erfüllte und dadurch eine Gerechtigkeit vor Gott