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Schwestern noch später, etwa im Jahr 1668 sich zusammengeschlossen haben, so sind es doch mittelalterliche Gedanken, die hier durchwirken und bleiben bis auf diesen Tag. Die Reformation griff nun stark auch in das Gebiet der Liebestätigkeit und Armenpflege ein. Das Betteln, zumal der Kirchenbettel war von der römischen Kirche geradezu groß gezogen worden. Man begünstigte ihn um den Gläubigen gleichsam Gelegenheit zur Verrichtung guter Werke zu geben. Luther hat alsbald den Gedanken gefaßt einer kirchlich geordneten Armenpflege, die statt dessen eingeführt werden sollte, aber freilich, er hat dabei alles den Gott geordneten oder geschichtlich gewordenen Berufsständen überlassen wollen. Das war die Stärke der Reformation und doch zugleich ihre Schwäche: die Stärke insofern, als durch die Reformation erst wieder die natürlichen Lebensordnungen in der Welt, die der Schöpfungsordnung an gehören, zu Ehren gebracht worden sind durch den richtigen Begriff von guten Werken. Die römische Kirche verstand und versteht unter guten Werken doch immer vorherrschend besondere Leistungen über das unmittelbar Geforderte hinaus, während die Reformation richtig erkannte, daß gute Werke darin bestehen, daß jeder in seinem Stand und Beruf, in den Gott ihn gestellt hat, Liebe und Gehorsam übt. Es ist die Stärke der Reformation die geschichtlich gewordenen Stände wieder in ihr Recht eingeführt zu haben, das Recht er weltlichen Obrigkeit im Gegensatz zu dem Recht, das sich das Papsttum auch in weltlichen Dingen angemaßt hat, die natürliche Ordnung der Familie, des Hauses gegenüber den willkürlichen Mönchsorden. Und heute noch zeigt sich darin der Unterschied zwischen evangelischer und römischer Sittlichkeit. Es steht der Katholizismus was die Stiftungen und Leistungen für die Kirche anlangt, dem Protestantismus freilich weit voran. Dafür bleibt dagegen der evangelischen Bevölkerung der Ruhm, daß sie viel mehr Sinn für Fortschritt, Fleiß und bürgerliche Betätigung beweist, wovon bekanntlich die Kriminalstatistik deutlich genug spricht. Werden doch auf katholischer Seite viel mehr Vergehen und Verbrechen begangen wie auf evangelischer, weil hier doch der Gedanke der Sittlichkeit und Ordnung, die das ganze Leben tragen und durchziehen soll, viel tiefer sich eingeprägt hat. So verdanken wir der Reformation viel feingefügte kirchliche und bürgerliche Ordnungen. Wieviel Wohltätigkeitstiftungen sind gerade von der evangelischen Christenheit ausgegangen. Und wie hat besonders die evangelische Kirche Deutschlands in hohem Maße ihren Beruf zu erfüllen gewußt während des dreißigjährigen Krieges und nach demselben. Daß unser Vaterland aus jener furchtbaren Zerstörung im Verhältnis sich bald wieder erholte, ist ein Dienst, den die evangelische Kirche sonderlich unserm. Volk geleistet hat. Ist es doch merkwürdig, daß das katholisch gebliebene Oesterreich und Bayern, die am wenigsten unter dem dreißigjährigen