William Shakespeare: Was ihr wollt. Übersetzt von Christoph Martin Wieland, Shakespear Theatralische Werke VII. | |
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Seele an, und wenn sie die ganze Welt zum Brautschaz hätte, so würde sie in meinen Augen nicht reizender seyn.
Viola.
Aber wenn sie euch nun nicht lieben kan, Gn. Herr?
Herzog.
Ich will keine solche Antwort haben.
Viola.
Aber wie dann, wenn ihr müßt? Sezet den Fall, es
gäbe eine junge Dame, wie es vielleicht eine giebt, die aus
Liebe zu euch diese nemliche Quaal in ihrem Herzen fühlte,
die ihr für Olivia fühlt; und ihr könntet sie nicht lieben,
und ihr sagtet ihr das; müßte sie sich diese Antwort nicht
gefallen lassen?
Herzog.
Es giebt kein weibliches Herz das stark genug wäre,
den Sturm einer so heftigen Leidenschaft auszuhalten, wie
die meinige ist – – es giebt keines, das groß genug wäre,
eine solche Liebe zu fassen. Ihre Liebe verdient mehr den
Namen eines flüchtigen Gelusts, sie reizt nur ihren Gaumen,
nicht ihre Leber, und endigt sich bald durch Ueberfüllung
in Ekel und Abscheu; da die meinige hingegen so
hungrig ist wie die See, und eben so viel verdauen kan.
Mache keine Vergleichung zwischen der Liebe die ein Weibsbild
für mich haben kan, und der meinigen für Olivia.
William Shakespeare: Was ihr wollt. Übersetzt von Christoph Martin Wieland, Shakespear Theatralische Werke VII.. Orell, Geßner & Comp., Zürich 1766, Seite 448. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wieland_Shakespear_Theatralische_Werke_VII.djvu/448&oldid=- (Version vom 1.8.2018)