William Shakespeare: Was ihr wollt. Übersetzt von Christoph Martin Wieland, Shakespear Theatralische Werke VII. | |
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mir abzunöthigen, was ich, wie ihr merket, gerne bey mir behalten wollte, verbindet mich, von selbst näher gegen euch heraus zu gehen. Wisset also, Antonio, daß mein Name Sebastiano und nicht Rodrigo ist, wie ich vorgab; mein Vater war dieser Sebastiano von Messaline, von dem ihr ohne Zweifel gehört haben müßt. Er hat mich mit einer Schwester hinterlassen, die in der nemlichen Stunde mit mir gebohren worden; möcht’ es dem Himmel gefallen haben, daß wir auch ein solches Ende genommen hätten. Aber ihr, mein Herr, verhindertet das; denn ungefehr eine Stunde, eh ihr mich aus dem Schiffbruch aufnahmet, war meine Schwester ertrunken.
Antonio.
Ich bedaur’ euch von Herzen.
Sebastiano.
Eine junge Dame, mein Herr, welche, ob man gleich
eine sonderbare Aehnlichkeit zwischen ihr und mir finden
wollte, doch von vielen für schön gehalten wurde; und
wenn ich gleich über diesen Punkt nicht zu leichtgläubig seyn
möchte, so darf ich hingegen kühnlich von ihr behaupten,
daß sie ein Gemüthe hatte, das der Neid selbst nicht anders
als schön nennen könnte: Nun ist sie ertrunken, mein
Herr, und ihr Andenken preßt mir Thränen aus, die ich
nicht zurükhalten kan.
Antonio.
Vergebet mir, mein Herr, daß ihr nicht besser bedient worden seyd.
William Shakespeare: Was ihr wollt. Übersetzt von Christoph Martin Wieland, Shakespear Theatralische Werke VII.. Orell, Geßner & Comp., Zürich 1766, Seite 439. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wieland_Shakespear_Theatralische_Werke_VII.djvu/439&oldid=- (Version vom 1.8.2018)