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Bruder verzichtete auf diese Schilderung, gab Lottchen den Brief und hoffte, diese herbe Kritik würde die Schwester nun bessern. Er irrte sich. Lottchen gehört zu den absolut Einsichtslosen. Sie schwört weiter auf ihre „Methode“, hat inzwischen schon wieder ein halbes Dutzend ähnliche „halbe Verlobte“ gehabt und wird es fraglos nie zu einer „ganzen“ Verlobung bringen.

Von der Sorte dieses Lottchen laufen in der Welt jetzt ungezählte Exemplare herum. Sie alle haben jede weibliche Zurückhaltung in die Rumpelkammer geworfen, sind „modern“ und rümpfen die Nase, wenn sie mal irgendwo eine Altersgenossin „von der alten Art“ kennen lernen – so eine „ganz Prüde“, „ganz Feine“, wie sie ironisch diese seltene Kategorie bezeichnen.

Nein – diese Lottchen-Sorte wird in den allerseltensten Fällen einen Mann bekommen. Sie müßten denn gerade das unerhörte Glück haben, an ein sehr harmloses Gemüt von Jüngling zu geraten. Den könnten sie dann vielleicht dazu bewegen, bei den Eltern Besuch zu machen – und so weiter. Doch – solche harmlosen Gemüter gibt es heute kaum noch.

Leider, leider sind diese Anhängerinnen der Lottchen-Methode dabei sehr häufig nicht einmal wirklich leichtfertig. Nein – sehr viele unter ihnen sind sogar fleißig, verstehen etwas von der Wirtschaft und würden tüchtige Hausfrauen abgeben. Was sie so vollständig „umkrempelt“, daß sie all das Holde, Zarte, Unberührte verlieren, das ja den Reiz echter Weiblichkeit ausmacht, ist eben die sie stets und ständig peinigende Angst, „sitzen zu bleiben“. Diese Angst läßt sie die fehlerhaftesten Mittel wählen einen Mann „zu angeln“. – Ich habe ja bereits vorher über die falsche Taktik von Müttern gesprochen, die aus jedem unverheirateten Familiengast schleunigst einen Bewerber machen möchten. Genau so verkehrt ist es, wenn die Töchter es sich angewöhnen, jeden Junggesellen sofort als „Fangobjekt“ zu betrachten und die „Treibjagd“ ebenso schnell zu eröffnen.

Meine jungen Damen, Sie können wirklich überzeugt sein: mögen Herren auch noch so „modern“ sein,

Empfohlene Zitierweise:
W. von Neuhof: Wie benehme ich mich?. Verlag moderner Lektüre G.m.b.H., Berlin 1921, Seite 98. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wie_benehme_ich_mich.pdf/98&oldid=- (Version vom 1.8.2018)