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Wie sie aber noch sich freuten und labten, da wankte mühsam ein blinder Greis herbey; der rief mit jammernder Stimme: O gebt mir mein Kind wieder! Gebt mir meinen Knaben zurück! – Die Stimme des Greises durchschnitt die Herzen Aller, die ihn hörten. Der Kayser ließ ihn vor sich kommen, und als er die Schicksale des unglücklichen Clodoald erfahren, schwur Carl, ihm sein Kind zurückzugeben.

Bald darauf meldeten Kundschafter dem Kayser, daß das ganze Heer der Sachsen, ihre Vornehmen und Heerführer und Priester sich in die Veste Fresburg geworfen hätten, und dort jedem Angriffe zu trotzen bereit waren. Schnell ließ Carl sein Heer gegen die Veste aufbrechen und diese stürmen. Der Kampf war hart, blutig, grausam, aber das Heer der Christen siegte über die blinde Verzweiflung der Heiden. Die Veste wurde genommen, die am Leben gebliebenen Sachsen mußten sich unterwerfen.

Der Kayser hatte seines Versprechens, das er dem blinden Clodoald gegeben, nicht vergessen. Alsbald nach der Einnahme der Fresburg ließ er die Gefängnisse derselben durchsuchen, und Hyazinth und die beiden Ritter, die ihn hatten befreyen wollen, Faustinus und Ischyrion mit Namen, wurden aus dunkler Kerkernacht an das Licht der Freyheit hervorgezogen. Mit ihnen aber auch die Oberpriesterin, die von unerklärlichem Mitleid für die gefangenen Jünglinge sich hatte hinreißen lassen, einen Versuch zur Befreyung derselben zu machen; dieser war jedoch durch den Verrath einer Priesterin mißglückt, und auch sie darauf in strenge Haft geworfen worden.

Empfohlene Zitierweise:
H. Stahl alias Jodocus Temme: Westphälische Sagen und Geschichten. Büschler'sche Verlagsbuchhandlung, Elberfeld 1831, Seite 263. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Westph%C3%A4lische_Sagen_und_Geschichten_263.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)