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auch Dir kann der Mensch trotzen! Ich will es! – Er wollte fortstürzen; da fiel unwillkührlich sein Blick auf die arme Wahnsinnige, und er stand. Unglückliche! sprach er mit sanfter Stimme; kann ich Dich denn allein lassen, in den Graus der Zerstörung und des Mordens? – Mein Kind! Mein Kind! rief er heftiger, und die Vaterliebe hatte über seinen Stolz gesiegt. Rasch stand jetzt ein entscheidender Entschluß in ihm fest.

Unter seiner Rüstung zog er einen schweren Schlüssel hervor, dann hob er eine Diele des Fußbodens auf, sprang, als er schon wildes Geräusch der siegreichen Feinde im Burghofe hörte, schnell zurück, ergriff ein Licht, zündete die gewirkten Decken des Zimmers an, daß sie prasselnd anfingen zu brennen, faßte gleichzeitig seine Tochter unter den Arm und stürzte sich mit ihr in den dunkelen Gang, zu dem die verborgene Thür führte. Diese warf er hinter sich zu, in dem nemlichen Augenblicke, als die Feinde die Thüre des Gemaches aufrissen, aber wegen der Flamme, die ihnen entgegenschlug, zurückstürzten.

Lange tappte er in dem finsteren, unterirdischen Gange herum, seine schreckliche Bürde auf dem Arme. Endlich erreichte er den Ausgang, tief unten im Thale, an einer dicht mit Bäumen und Strauchwerk bewachsenen Stelle. Er legte seine Last nieder, als er im Freyen war, um einige Augenblicke frische Luft zu schöpfen. Seine Burg stand in hellen Flammen; es kümmerte ihn nicht; im Gegentheile, es war ihm ein wohlthätiges Gefühl; konnte er doch jetzt da nicht verhöhnt werden, wo er früher geherrscht hatte!

Auf einmal naheten sich Gestalten unter den Bäumen. Er hielt sich ruhig, um nicht entdeckt zu

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H. Stahl alias Jodocus Temme: Westphälische Sagen und Geschichten. Büschler'sche Verlagsbuchhandlung, Elberfeld 1831, Seite 250. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Westph%C3%A4lische_Sagen_und_Geschichten_250.png&oldid=- (Version vom 23.2.2020)