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Eine glühende, unbändige Leidenschaft zu der schönen, frommen, keuschen Jungfrau setzte sich in meiner Brust fest. Bömmelingen gewahrte sie, und bald war ein Plan zu ihrer Befriedigung entworfen. Mit Gewalt beschlossen wir, das Mädchen zu entführen. In einer stillen Nacht drangen wir in die schwach besetzte Burg. Unsern Zweck und unsere Beute erreichten wir bald. Aber indem wir sie in Sicherheit bringen wollten, stürzte der mit Schrecken erwachte Vater auf uns zu. Mit Gewalt wollte er die Tochter uns entreißen; doch, unbewehrt, wurde er bald überwältigt, und, ohnmächtig zu helfen, mußte er den Raub seines Liebsten ansehen. Er wüthete nicht in seiner Ohnmacht, aber mit einer dumpfen Grausen erregenden prophetischen Stimme rief er mir nach: Burggraf, diese Stunde ist der Saamen Deines Unterganges! Einst werde ich vor Dich treten wie der Engel der Rache, und Dich an sie mahnen! Dann wirst Du sie verfluchen, aber sie wird Dich vernichten!

Ich lachte damals über diese Worte, Bömmelingen spottete über sie. Aber oft, in stiller Mitternacht, traten sie wie drohende Gespenster vor mich. Agnes von Ittling wurde bald von mir verlassen; Bömmelingen brachte sie in ein Kloster. Neue Leidenschaften; neue Gewaltthaten besonders da mein Weib bald starb, bezeichneten mein Leben, und verdrängten auch bald das Bild des alten Ittling aus meinem Innern. Desto fürchterlicher, mahnender sollte ich ihn wieder sehen. Er war es, der mir die Acht des Kaysers verkündete. Eine doppelte Vernichtung sprachen seine Worte und sein Blick über mich aus.

Empfohlene Zitierweise:
H. Stahl alias Jodocus Temme: Westphälische Sagen und Geschichten. Büschler'sche Verlagsbuchhandlung, Elberfeld 1831, Seite 240. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Westph%C3%A4lische_Sagen_und_Geschichten_240.png&oldid=- (Version vom 23.2.2020)