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Auf einmal blieb er stehen, seine Rede stockte. Er war an die nordöstliche Seite des Gartens gekommen, die durch eine Schlucht des Gehölzes die freye Aussicht nach der Gegend von Rheda gewährte. Seine Augen hefteten sich starr auf einen Haufen Reuter, die er des Weges her auf die Burg zukommen sah. Lange stand er unbeweglich; auf einmal röthete sich sein Gesicht, sein Herz klopfte hörbar. An der Spitze des Haufens ritt ein stattlicher Ritter in glänzender Rüstung, den er zu erkennen glaubte. Er betrog sich auch nicht; es war sein lange ersehnter, treuer Freund, der Graf Otto von Tecklenburg. Mit stärker klopfendem Herzen, mit erregteren, stürmischeren Gefühlen eilte er aus dem Garten, auf den Burghof; aber dennoch mit ausgebreiteten Armen flog er ihm hier entgegen.

Das schöne kräftige Gesicht des Grafen Otto hatte heute einen trüben Ausdruck, sein lebendiges Auge konnte nur mit Wehmuth und Mitleiden auf seinen Freund blicken. Der Burggraf bemerkt es. Du bringst mir keine gute Nachrichten, Otto? fragte er, nicht ohne einige Unruhe.

Der Freund nahm ihn unter den Arm. Laß uns in Dein Gemach gehen! antwortete er; ich habe Dir mancherley zu sagen! – Er begleitete die Worte mit einem bedenklichen Blicke auf die Umgebung von Rittern und Knappen.

Allein in des Burggrafen Gesichte entwickelte sich ein edler, hoher Stolz. Ich habe keine Geheimnisse vor meinen Rittern! sagte er. Sprich alles, was Du auf dem schwer belasteten Herzen hast. Ein Jeder mag, soll es hören!

Empfohlene Zitierweise:
H. Stahl alias Jodocus Temme: Westphälische Sagen und Geschichten. Büschler'sche Verlagsbuchhandlung, Elberfeld 1831, Seite 229. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Westph%C3%A4lische_Sagen_und_Geschichten_229.png&oldid=- (Version vom 23.2.2020)