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der Kraft. Mit schnell errungener Ruhe überschaute er die Versammlung der Ritter, dann sprach er kurz, aber stolz, im Gefühle seiner großen Seele: Ritter und Vasallen! Ihr habt gehört, welches Urtheil über mich und über Euch gesprochen ist! Ich entlasse Euch Eurer Pflicht und Eurer Lehnstreue gegen mich. Ziehet in Frieden, und möge Euch ein besserer Herr nach mir werden, als ich es Euch seyn konnte! – Er sprach die letzten Worte mit weicher Stimme, und wollte, ohne Jemanden ferner anzublicken, in die Burg eilen.

Da trat ihm der alte Ritter von Oer entgegen, riß sein Schwert aus der Scheide und schwang es hoch in der Luft, und sprach dann mit lauter, kräftiger Stimme: Burggraf, wir verlassen Dich nimmer! So lange unser Arm noch ein Schwert führen kann, führen wir es für Dich!

Und alle Ritter, die auf dem Platze waren, folgten seinem Beyspiele, hoben hoch ihre Schwerter empor, und schworen laut und feyerlich, ihren Burggrafen nicht zu verlassen, sondern wie treue westphälische Ritter, ihn zu beschützen bis zu ihrem letzten Athemzuge, und sollte auch nur Schmach und Verfolgung ihr Lohn seyn!

Da ergriff eine hohe Rührung den Burggrafen, in seinem Auge zitterte eine Thräne. Freunde! rief er; jetzt erkenne ich es, die Treue ist das Höchste im Leben. Ich nehme Eure Schwüre an; so lange noch eine Muskel und eine Sehne unseres Körpers hält, wollen wir uns vertheidigen; denn nun laßt es mich Euch sagen: ohne Vertheidigung und ohne Reche bin ich verurtheilt worden, auf die einseitige Anklage eines gleisnerischen Räubers, den nach meinen Besitzungen

Empfohlene Zitierweise:
H. Stahl alias Jodocus Temme: Westphälische Sagen und Geschichten. Büschler'sche Verlagsbuchhandlung, Elberfeld 1831, Seite 218. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Westph%C3%A4lische_Sagen_und_Geschichten_218.png&oldid=- (Version vom 23.2.2020)