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Ich konnte mich nicht täuschen! erwiderte die Gräfin. Seine Gestalt, seine Stimme, selbst der stechende Blick, den er durch das Visir seines Helmes auf mich warf, alles verrieth ihn. Auch Oer, als er gestern wiederkam, hat ja meine Aussage bestätigt. Er hat ihn erkannt, als er wüthend, ohne die schon gehabte Beute, zu seinen Spießgesellen zurückgekehrt ist, und die Befreyung der Gefesselten befohlen hat.

Der Burggraf ging wieder schweigend und nachdenklich auf und ab. Auf einmal gab der Thurmwart draußen das Zeichen, daß sich ein Fremder der Burg nahe. Rasch wandte sich der Graf an den Ritter Morian. Empfang den Ritter, sprach er, der dort nahet, und führe ihn gleich zu mir hierher!

Der junge Mann verließ schweigend das Gemach. So wie er fort war, trat der Burggraf dicht vor seine Tochter. Sophie, sagte er, ihre Hand fassend, es nahet eine ernste, entscheidende Stunde für uns Beyde. Wahrscheinlich wird sie bestimmen, ob das Geschlecht der Burggrafen von Stromberg fortbestehen oder zu Grunde gehen und spurlos verschwinden soll; ob diese Grafschaft, über die ich jetzt, wie ein glücklicher Vater über seine Kinder herrsche, auch künftig meinem und Deinem Stamme gehorchen, oder wie ein wehrloses Thier von Wölfen und Tiegern zerrissen werden soll. In dieser Stunde soll darüber entschieden werden, und in Deine Hand sind die Loose gegeben.

In meine? fragte die Gräfin, und ihre Hand zitterte in der ihres Vaters, dessen Ernst und Wehmuth, womit er gesprochen hatte, ihren Busen mit Furcht und dunkeln Ahnungen erfüllte.

Empfohlene Zitierweise:
H. Stahl alias Jodocus Temme: Westphälische Sagen und Geschichten. Büschler'sche Verlagsbuchhandlung, Elberfeld 1831, Seite 194. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Westph%C3%A4lische_Sagen_und_Geschichten_194.png&oldid=- (Version vom 23.2.2020)