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aber wohl sah sie, daß dieser Ueberfall blos ihrer Person galt, zumal da sie unter den Vermummten eine lange Gestalt sah, die ihr nur zu bekannt vorkam. Sie ergriff daher eilig die Flucht, wurde aber sofort von der Hälfte der Räuber verfolgt, und, als ihr Pferd stürzte, in dem Walde zwischen Clarholz und Herzebrock eingeholt, bis der unglückliche Zurmühlen sie befreyete.

Der Burggraf blieb sinnend mitten im Gemache stehen, als die Gräfin dieß wiederholt erzählt hatte. Mit jedem Augenblicke, sagte er dann, wird es mir klarer, was schon mein Vater fürchtete, und was ich mir nie gestehen mochte. Mein Land ist zu schön, und liegt ihnen zu gelegen, als daß die geistlichen Herrn nicht danach trachten sollten. Der Zeitpunkt scheint ihnen gekommen zu seyn; der Himmel selbst hat ihn beschleunigt, daß er mir keinen Sohn gab. So lange trauete ich diesem Florenz! So oft schüttete ich meine Brust gegen ihn aus, wie ich gegen keinen Bruder gethan hätte! Und nun! – Doch freylich, er hat Recht; er will nur den Glanz seiner Familie haben! Und – sprach er leiser – ist es denn im Grunde nicht auch besser, daß es so wird, als wenn fremde Raubthiere sich in das schöne Land theilen? –

Sein Blick verweilte sinnend auf seiner Tochter, deren Auge so eben dem des Jünglings ihr gegen über begegnet war, und die nun errötend, aber sehnsüchtig in den wolkenlosen Himmel blickte. Nach einer Weile nahete er sich ihr. Sophie, fragte er sie, täuschtest Du Dich nicht? Weißt Du gewiß, daß Rudolf von Wevelinghoven Dein Räuber war?

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H. Stahl alias Jodocus Temme: Westphälische Sagen und Geschichten. Büschler'sche Verlagsbuchhandlung, Elberfeld 1831, Seite 193. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Westph%C3%A4lische_Sagen_und_Geschichten_193.png&oldid=- (Version vom 23.2.2020)