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ich es von solch einem Heckenreuter erwartet hätte. Aber vor den Tod kein Kraut gewachsen ist! –

Der alte Zurmühlen hatte mit beyden Händen sein Gesicht bedeckt. Lange war sein Schmerz stumm. Zuletzt mußte er sich Luft machen. Die Natur muß ja ihre Recht haben. Es war mein einziger Sohn! jammerte er. O Gott! während ich ihm seine Tochter befreye, erschlägt Er mir meinen Sohn! Herr des Himmels! duldest Du es? Lohn versprach er mir! Lohn! – furchtbarer Spott des Geschicks! –

Doch auf einmal faßte er sich; die Kraft seines starken Willens besiegte die Natur. Kommt Freunde! sprach er mit veränderter, ruhiger Stimme zu seinen Landsleuten. Laßt uns die zersprengten Gefährten sammeln, und die gebliebenen zur Erde bestatten, und dann mit Gott unsere Reise fortsetzen!

Diese Gewalt über den Schmerz erschütterte Alle. Die Gräfin weinte heftig; sie wollte sich ihm nahen, um ihm Worte des Trostes zu sagen, allein ein feines Gefühl der Schicklichkeit hielt sie zurück. Der alte Burggraf sah finster vor sich nieder; auch der Ritter Morian, nur Bömmelingen schien die allgemeine Stimmung nicht begreifen zu können. Pah! sagte er leise für sich, ein Menschenleben ist wie ein Fliegenleben!

Zurmühlen hatte sich unterdeß immer mehr zum Herrn seines Schmerzes gemacht. Sein Blick war wieder klar, obgleich sehr ernst geworden; seine Gestalt richtete sich wieder empor. Einen wehmüthigen Blick warf er auf die junge Gräfin; dann einen strengen auf den Burggrafen. Herr Burggraf! sprach er zu diesem. Im Himmel gibt es eine ewige Gerechtigkeit, die alle Thaten des Menschen wägt. Sie

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H. Stahl alias Jodocus Temme: Westphälische Sagen und Geschichten. Büschler'sche Verlagsbuchhandlung, Elberfeld 1831, Seite 187. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Westph%C3%A4lische_Sagen_und_Geschichten_187.png&oldid=- (Version vom 23.2.2020)