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nahm sie in seine Arme. Eine Ohnmacht hatte die Lebensgeister der Dame getödtet; wehren konnte sie sich nicht. Sie flehnte nur mit leiser Stimme: Erbarmen! dann lag sie leblos.

Die Kaufleute hatten, ohne sich zu regen, diesen Auftritt angesehen. Sie freueten sich, daß für sie keine Gefahr da war. Allein diese Freude konnte ihr Gefühl für Menschlichkeit nicht unterdrücken, wenigsters in der Brust des edlen Zurmühlen nicht. Hier wird ein Bubenstück begangen! rief dieser seinen Gefährten zu. Auf Kameraden, der Schwachen zu Hülfe!

Er spornte bei diesen Worten zugleich sein Pferd, und jagte auf die Stelle zu, wo der lange Ritter die ohnmächtige Dame in seinen Armen hielt, und sie auf ihr Pferd zu heben suchte, das seine Begleiter unterdeß wieder aufgerichtet hatten. Der ganze Zug folgte dem braven Kaufherrn, selbst der kleine Rathsherr wollte nicht zurückbleiben; und der junge Zurmühlen spornte sein Pferd so gewaltig und ließ ihm jetzt dabey den Zügel so weit schießen, daß er den Uebrigen weit zuvorkam und am ersten bey dem Ritter anlangte.

Laßt die Dame los, Räuber! rief er mit furchtbarer Stimme diesem zu und schwang sein langes Schwert. Gebt sie frey, oder Eure letzte Stunde hat geschlagen!

Der Ritter zog rasch sein Schwert aus der Scheide, und wollte auf den Jüngling eindringen, um seine Beute zu vertheidigen; als er aber in demselben Augenblicke den herannahenden Haufen von vierzig bis fünfzig wohlbewaffneten und dem Anscheine nach tapferen, kampflustigen Männern gewahrte, mochte er eine Gegenwehr nicht für sehr rathsam halten. Er ließ die

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H. Stahl alias Jodocus Temme: Westphälische Sagen und Geschichten. Büschler'sche Verlagsbuchhandlung, Elberfeld 1831, Seite 171. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Westph%C3%A4lische_Sagen_und_Geschichten_171.png&oldid=- (Version vom 23.2.2020)