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zu dürfen. Beydes wurde ihr gewährt; doch nach Jahresfrist hatte der Gram ihr Herz getödtet. –


Es war an einem warmen Sommerabende des Jahrs 1136, als ein einzelner Mensch langsam den Berg erstieg, auf dessen Spitze, von der Abendsonne vergoldet, das Kloster Siegburg lag. Es war eine hohe, schlanke Gestalt, aber die Mattigkeit der Bewegungen und der Haltung verrieth, daß alle Muskelspannung und Nervenkraft von ihr gewichen war. In dem regelmäßigen, aber erdfahlen Gesichte herrschte neben tiefer Trauer eine Art wilder Verstörtheit. Er blieb oft stehen, und sah dann mit finsteren Blicken der scheidenden Sonne nach. Nur Einmal hob ein schwerer Seufzer seinen Busen, und leise, aber mir sehnsüchtiger Stimme sprach er: O, wer doch untergehen könnte, wie Du! Aber für immer, um nie wieder zu erwachen! – Und kann ich es denn nicht! rief er auf einmal lauter, und sein Blick wurde wieder finster, wild. Bin ich dann nicht Herr meines Lebens? – Aber rasch wandte er sich um nach der Klosterseite, und floh dahin, wie von Entsetzen getrieben, während seine Lippen murmelten: Mörder! Wieder ein Mord? –

Als er das Kloster erreicht hatte, stand er eine Zeitlang schweigend, und wie unschlüssig, an der Pforte, und besah das schöne, weitläufige Gebäude; dann trat er rasch vor, und läutete die Glocke. Ein Mönch erschien, und fragte ihn, wer er sey, und was er wolle?

Ich muß mit dem Abte sprechen! antwortete er; seinen Namen nannte er nicht.

Empfohlene Zitierweise:
H. Stahl alias Jodocus Temme: Westphälische Sagen und Geschichten. Büschler'sche Verlagsbuchhandlung, Elberfeld 1831, Seite 093. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Westph%C3%A4lische_Sagen_und_Geschichten_093.png&oldid=- (Version vom 14.12.2022)