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von ihm angesprochen zu werden. Als dieß nicht geschah, nahm er endlich das Wort. Begehret Ihr Einlaß, edler Herr, sprach er, so nennt mir vorher Euren Namen, wie es die Sitte ihrer Burg erheischt, und alsbald sollen ihre Thore sich Euch öffnen.

Da schauete das Auge des Ritters empor, und blitzte wie von einer plötzlichen Freude auf, als es den greisen Burgvogt sah. Theobald! rief er, kennst Du mich denn nicht mehr? Habe ich mich denn so sehr verändert, daß ich Dir ganz fremd geworden bin, ich, den Du so oft auf Deinen Armen getragen, auf Deinen Knieen geschaukelt hast?

Der Diener blickte verwundert auf, und betrachtete lange die schönen, aber bleichen Züge des Ritters. Dann schüttelte er still, wie mit einer plötzlich aufsteigenden Vermuthung kämpfend, den Kopf.

Du bist alt geworden, Theobald! rief der Ritter wieder; und Dein Gedächtniß hat Dich verlassen! Oder wäre wirklich Gervin von Volmestein so unkenntlich geworden?

Da wurde der Vogt sehr erschrocken. Herr! rief er. Ihr, mein lieber Herr? Ja, ja, ich erkenne Eure Züge wieder. Ihr seyd es, mein theurer Herr! Aber welcher Gram oder welche Krankheit hat Euch so entstellt? Eure Augen sind hohl, Eure Wangen fahl und eingefallen! Und sonst waren sie so frisch, so voll, so feurig!

Der Ritter seufzte tief auf, statt der Antwort, und in das Auge des Knappen drängte sich still eine Thräne. Die Zugbrücke wurde unterdeß schnell niedergelassen und der Ritter und sein Knappe ritten langsam darüber hin in den Burghof hinein. Herzlich

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H. Stahl alias Jodocus Temme: Westphälische Sagen und Geschichten. Büschler'sche Verlagsbuchhandlung, Elberfeld 1831, Seite 066. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Westph%C3%A4lische_Sagen_und_Geschichten_066.png&oldid=- (Version vom 9.9.2019)