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Wie oft, wenn ich des Abends in dem einsamen Thale an der Quelle dich überraschte, und dir erzählte, wie dein erster Anblick auf mich gewirkt, wie ich gemeint hätte, eine der hohen Göttinnen zu sehen; wie es mich dann unwiderstehlich zu dir zurückgezogen, und wie ich nun jeden Tag kommen müsse, und nicht schlafen könne auf meinem Lager, wenn ich nicht dich, oder nur wenigstens den Zipfel deines Gewandes gesehen; wie oft habe ich dann unter den heißesten Thränen um deine Liebe geflehet, gebettelt. Aber du bliebest kalt, du –

Nein, nein! rief das Mädchen, ohne es zu wissen, mit schmerzlicher Stimme: O hättest du in mein Herz sehen können!

Doch, fuhr Hermann fort; du erhörtest mich nicht; nur Liebe zu deinem Gott war in deiner Brust, nur ihm gehörtest du an; und mein wolltest du nur werden, wenn ich meine Götter abschwören und an deinen Gott glauben wolle.

Christinens Augen belebten sich. Hermann! rief sie; ich war nicht kalt gegen dich. Höre es, ich liebe dich; aber mein Gott gehet mir über alles, über mein eigenes Leben. Nimmer kann ich dem Heiden angehören und seinen falschen Göttern. O glaube mir, ich liebe dich eben so kräftig, als du nur je für mich gefühlt hast. Drum Hermann, verlaß deine falschen Götzen, und laß uns glücklich seyn. O folge den Bitten der reinsten, aufrichtigsten Liebe!

Die Götter sind furchtbar! erwiederte der Jüngling. Sie verderben den, der sie verläßt. Ihr Zorn würde dich treffen und mich, und uns schrecklich verzehren.

Empfohlene Zitierweise:
H. Stahl alias Jodocus Temme: Westphälische Sagen und Geschichten. Büschler'sche Verlagsbuchhandlung, Elberfeld 1831, Seite 026. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Westph%C3%A4lische_Sagen_und_Geschichten_026.png&oldid=- (Version vom 9.9.2019)