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Die Züge der Drude wurden ernster, strenger, ihre Augen rollten zornfunkelnd in den großen, dunkeln Höhlen. Wehe dir und deiner Brut! rief sie. Verderben dem, der die Götter erzürnt!

Wehe ihm? fragte Lutz. Drude, bin ich nicht der treueste Diener der Unsterblichen? Schlachte ich ihnen nicht täglich Opfer? Und dennoch bringen sie dunkles Weh über mich?

Wehe dem Verräther! fuhr die Drude fort, der den Göttern falsch schwört! – Wolff Lutz! rief sie dann: Du schwurst den Göttern jeglichen Christen zum Opfer; schamlos hast du dein Wort gebrochen. Du hast Christen am Leben gelassen, und den Ewigen ein Opfer entrissen, das ihnen gehörte. Die Götter wollen dein Verderben dafür, Sie haben das Herz deines Sohnes verstrickt, daß es in thörigter, qualvoller Liebe zu jener Christendirne, die du verschontest, sich abzehren muß! – Wehe, wehe dir und deiner Brut! rief sie noch einmal lauter, mit fast kreischender, furchtbarer Stimme, verhüllte das Gesicht mit ihrem weiten Gewande und stürzte schnell in ihren Thurm zurück.

Wolff Lutz stand wie zernichtet. Sprachlos starrte er lange auf die leere Stelle, wo sie gestanden hatte; dann blickte er nach dem Thurme, der schnell wieder verschlossen war. Hohe Drude, rief er mit bittender Stimme, kehre zurück, und verkünde mir, womit ich die furchtbaren Götter versöhnen kann!

Aber das Weib kehrte nicht zurück, und gab ihm auch keine Antwort. Mehrmalen wiederholte Lutz seine Bitte, doch vergeblich. Sie schwieg hartnäckig, und zuletzt hörte er sie einen lauten, klagenden Gesang anstimmen, um den Zorn der Götter von sich abzuwenden.

Empfohlene Zitierweise:
H. Stahl alias Jodocus Temme: Westphälische Sagen und Geschichten. Büschler'sche Verlagsbuchhandlung, Elberfeld 1831, Seite 014. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Westph%C3%A4lische_Sagen_und_Geschichten_014.png&oldid=- (Version vom 9.9.2019)