Seite:Westphälische Sagen und Geschichten 006.png

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

leuchtenden Augen, mit aufflammender Leidenschaft. Denn auch er fühlte tief die Unbilden, die ihm und den Seinigen von den Christen waren zugefügt worden.

Da trat, wie kaum der Schwur beendigt war, mit der anbrechenden Morgenröthe ein riesiges Weib in den Kreis. Ein weites, lang bis über die Knöchel herabhängendes Gewand von weißer Farbe, umfloß ihre starken Glieder; greise Haare wallten in langen, dicken Locken von ihrem Haupte; ihr Gesicht war hager und voll tiefer Furchen, aber ihr Auge blitzte von einem höheren überirdischen Feuer. Niemand hatte sie ankommen sehen, sie stand plötzlich neben den blutigen Leichen, unter den mit Blut bedeckten Kriegern. Einen stolzen Blick warf sie auf die Knechte, die scheu vor ihr zurücktraten. Dann wandte sie sich zu Wolff Lutz und seinem Sohne Hermann.

Die Götter sind euch gnädig! sprach sie mit tiefer feyerlicher Stimme. Sie haben Freude an euch; aber bleibt treu eurem Schwure, die Götter sind furchtbar!

Sie wickelte sich dichter in ihr weites Gewand, und wollte sich wieder entfernen. Aber Wolff Lutz hielt sie; Hohe Drude! rief er, von wannen kommst du? Welcher Gott hat dich, uns gnädig, in unsere Mitte geführt?

Kein einzelner Gott! erwiederte das Weib. Die Götter alle beschützen mich; denn wer sie ehrt, den lieben sie. Sie alle haben mich bewahrt und mich vor den Augen der Christen verborgen, in deren Mitte ich lebte. Dort unten ist mein Thurm, tief in jenem westlichen Thale. Aber suche mich nicht, denn die Götter wohnen mit mir, und sie zürnen, wenn ein Sterblicher sie stört.

Empfohlene Zitierweise:
H. Stahl alias Jodocus Temme: Westphälische Sagen und Geschichten. Büschler'sche Verlagsbuchhandlung, Elberfeld 1831, Seite 006. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Westph%C3%A4lische_Sagen_und_Geschichten_006.png&oldid=- (Version vom 9.9.2019)