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Eine deutsche wissenschaftliche Großtat während des Krieges.
Von Professor Max B. Weinstein,
Geheimer Regierungsrat.

Wenn der Friede in die Welt wieder eingekehrt ist, müssen die Völker sich gegenseitig fragen, ob und was jedes während des Krieges auch auf dem idealen Gebiete der reinen Wissenschaft geleistet hat. Da werden wir Deutschen so manches vorbringen können, mit dem zu wetteifern den anderen recht schwer fallen dürfte, und einiges, dem sie nichts Ebenbürtiges entgegenzuhalten haben möchten. Und ich bin überzeugt, das im Interesse der Menschheitskultur sie sich freuen werden, so ganz unerwartet Neues zu finden, das seine erleuchtenden Strahlen bis in die höchsten Fragen der Erkenntnis sendet und jetzt schon Früchte gezeitigt hat, die großen wissenschaftlichen Gebieten Fortbildungsmöglichkeit und festen Boden verleihen. Solche Erscheinungen, daß einige Gelehrte in England und Frankreich aus vaterländischem Uebereifer bei Beginn des Krieges sich höchst absprechend über deutsche Wissenschaft geäußert haben, trotz der Ehrungen, mit denen sie bei uns überhäuft worden sind, werden durch unsere geistigen Leistungen während unserer schwersten Zeit in das rechte Licht ihrer unbedachten Uebereiltheit gerückt werden. Und hoffentlich werden unsere jetzigen Gegner an der Ausbildung unserer Errungenschaften so eifrig und willkommen mitarbeiten, wie wir es stets neidlos an der ihrer Erfolge getan haben. Nur eine dieser Errungenschaften, freilich die größte, soll hier beleuchtet werden. Wir verdanken sie dem Urheber der so eigenartigen Relativitätslehre, A. Einstein, für dessen Berufung an die Akademie der Wissenschaften man der Unterrichtsverwaltung nicht dankbar genug sein kann. Damit auch der Nichtfachmann zu folgen vermag, will ich erst eines der Hauptergebnisse der Entdeckung Einsteins auf einem Gebiete schildern, das sich von je der allgemeinen Teilnahme erfreute, auf dem der Astronomie.

Die Erde und alle Planeten bewegen sich in gestreckten Bahnen (Ellipsen) um die Sonne, sie sind ihr infolgedessen bald näher, bald ferner. So erreicht zum Beispiel die Erde um den 2. Januar mit 147 Millionen Kilometer ihre größte Sonnennähe (Perihel) und um den 4. Juli mit 152 Millionen Kilometer, ihre größte Sonnenferne (Aphel). Da sich die Himmelskörper durch ihre Anziehungen gegenseitig stören, bleiben die Momente der Sonnennähe und Sonnenferne nicht erhalten, sie verschieben sich im Laufe der Zeit; und es ist eine Aufgabe der Astronomen, diese Verschiebung aus dem bekannten Newtonschen Anziehungsgesetz zu berechnen. Es hat sich nun, namentlich aus den Untersuchungen von Leverrier, dabei ergeben, das bei den besonders behandelten vier ersten Planeten, Merkur, Venus, Erde, Mars, die berechnete Verschiebung kleiner ausfällt als die beobachtete. Während aber diese Abweichung bei Venus ganz unsicher, bei Erde und Mars in Anbetracht der unausweichlichen Mängel der Rechnung wie der Beobachtung nicht als erheblich anzusehen ist, erreicht sie bei Merkur einen unzulässigen Betrag (etwas mehr als 40 Bogensekunden auf 100 Jahre), der die Astronomen seit langer Zeit beunruhigt. Zahllose Versuche sind gemacht worden, dieses sonderbare Verhalten des Merkur zu erklären. So namentlich auch durch die Annahme eines sogenannten intramerkuriellen Planeten, der aber nicht aufgefunden werden konnte, obwohl

Empfohlene Zitierweise:
Max Bernhard Weinstein: Eine deutsche wissenschaftliche Großtat während des Krieges. Berliner Tageblatt (in Beilage "Der Zeitgeist" vom 28. Februar 1916), Berlin 1916, Seite 1 (Spalte 1). Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Weinstein_-_Wissenschaftliche_Gro%C3%9Ftat.djvu/1&oldid=- (Version vom 2.10.2024)