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Walther Kabel: Was Tiere träumen (Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Band 6)

das Häschen vor ihn nieder, ziemlich dicht an seine Schnauze. Eine Weile vergeht. Plötzlich wird der Hund unruhig, stößt ein leises Bellen aus, seine Beine bewegen sich lebhaft, sein Rückenhaar sträubt sich: er träumt. Wovon? Vielleicht von der Hetze auf den Hasen. Hat der Geruch des toten Tieres diese Erinnerung in ihm wachgerufen? Die Entscheidung ist schwer. Zur Nachprüfung des eben Beobachteten stelle ich folgenden Versuch an. Ich nehme den Hasen vom Boden auf, lege ihn ins Nebenzimmer und vertiefe mich dann in ein Buch. Nach einer Stunde – inzwischen ist Bermal zweimal erwacht und hat seinen Platz gewechselt – wiederhole ich dasselbe Spiel von vorhin. Der Hund hat den Kadaver des Hasen jetzt kaum einige Sekunden vor der Nase, und schon beginnen seine Pfoten zu zucken, schon entrinnt sich seiner Kehle das heisere, leise Bellen. Mit einem Wort: ich habe dieselben Anzeichen für einen den Hund erregenden Traum vor mir. Charakteristisch ist besonders das Zusammenziehen und Strecken der Beine, der hastige Atem: Bermal läuft im Traum! Und daß er hinter dem Hasen her ist, daß sein Jagderlebnis ihn im Schlafe beschäftigt, wer wollte noch länger daran zweifeln?!“

Ähnliches erzählt Doktor Bernhard auch von seinem Neufundländer Grix. Dieser eifrige Badefreund hatte eines Tages am Ufer der Seine eine Wasserratte aufgespürt, war ihr in den Fluß nachgesprungen und hatte sie bis zum Eingang ihres Baues verfolgt. Zwei Tage später traf Doktor Bernhard einen Landmann, der in einem Tellereisen eine Wasserratte statt eines Marders, dem er nachstellte, gefangen hatte. Mit dieser Ratte stellte der Tierfreund dann denselben Versuch bei seinem Grix an, den er ein Jahr vorher mit Bermal unternommen hatte. Auch dem Neufundländer wurde durch die Witterung der Wasserratte die Erinnerung an sein Abenteuer am Ufer der Seine vermittelt. Er machte mit den Vorderbeinen deutliche Schwimmbewegungen und stieß ein drohendes Knurren aus, kurz, er glaubte sich im Traum wieder im Flusse bei der Verfolgung des langschwänzigen Nagers.

Hören wir, was Doktor Bernhard in demselben Kapitel über

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Walther Kabel: Was Tiere träumen (Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Band 6). Union Deutsche Verlagsgesellschaft, Stuttgart, Berlin, Leipzig 1916, Seite 207. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Was_Tiere_tr%C3%A4umen.pdf/6&oldid=- (Version vom 1.8.2018)