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auseinandergehen, erblickt man einen Teufel, welcher eine arme Seele quält. Daneben drängt ein anderer einen Pfaffen auf den Kessel zu, in welchem die Verdammten schmoren müssen. „Le bagne“ – ein Tor, davor ein Gefängniswärter. Wenn man getroffen hat, zieht er an einer Glocke. Es klingelt, das Tor geht auf. Man sieht zwei Sträflinge an einem großen Rade hantieren; sie scheinen es drehen zu müssen. Wieder eine andere Konstellation: ein Geiger mit seinem Tanzbär. Man schießt hinein und der Fiedelbogen bewegt sich. Der Bär schlägt mit einer Tatze die Pauke und hebt ein Bein. Man muß an das Märchen vom tapferen Schneiderlein denken, könnte auch Dornröschen mit einem Schusse wieder erweckt, Schneewittchen durch einen Schuß von dem Apfel befreit, Rotkäppchen in einem Schuß sich aufgelöst denken. Der Schuß schlägt märchenhaft, mit jener heilsamen Gewalt ins Dasein der Puppen ein, die den Ungetümen das Haupt vom Rumpfe haut und als Prinzessinnen sie entlarvt. So wie bei jenem großen aufschriftlosen Tor: wenn man gut gezielt hat, öffnet es sich und vor roten Plüschvorhängen steht ein Mohr, der sich leicht zu verneigen scheint. Er trägt vor sich her eine goldene Schüssel. Darauf liegen drei Früchte. Es öffnet die erste sich, und eine winzige Person steht drin und verbeugt sich. In der zweiten drehen sich tanzend zwei ebenso winzige Puppen. (Die dritte tat sich nicht auf.) Darunter, vor dem Tisch, auf dem die sonstige Szenerie sich aufbaut, ein kleiner Reiter aus Holz mit der Überschrift: „Route minée“. Trifft man ins Schwarze, so knallt es, und der Reiter mit seinem Pferd überschlägt sich, bleibt aber, wohlverstanden, auf ihm sitzen.

STEREOSKOP. Riga. Der tägliche Markt, die gedrängte Stadt aus niedrigen Holzbuden zieht auf der Mole, einem

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Walter Benjamin: Einbahnstrasse. Rowohlt, Berlin 1928, Seite 58. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Walter_Benjamin_Einbahnstrasse.pdf/56&oldid=- (Version vom 9.6.2018)