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Papst Telesphorus geordnet hat, durch die hohen Dignitäre des Kapitels gesungen. Auch das Petersstift und die Martinskirche nehmen in Vertretern Teil, gemäß unvordenklichem Brauche. Über die Lettnertreppe hinunter ins mächtige Schiff der Kirche, wo die Gemeinde voll Andacht im Dunkel kniet, und wieder zurück und hinauf ins Vestibulum ziehen sie Alle, Fahnen und Flammen und Rauchfaß und auf einem Kissen das ehrwürdige Plenarium tragend, indes die Orgel mächtig das Tedeum intoniert.

In solcher Weise beging die alte Kirche hier zum letzten Male die Weihnacht. Den feierlichen, oftgeübten, unabänderlich geordneten Formen fügten sich die Celebranten, ihre Herzen voll Angst und Haß. Eine andre Festfeier mochte in den Räumen der Neugläubigen stattfinden. Aber die Feiern fanden hier und dort ihr Ende, und von der Andacht erhob man sich zur Gewalttat.


Die Eingabe der Evangelischen vom 23. Dezember hatte beim Rate wenig Beachtung gefunden, war trotz ihrer Dringlichkeit noch nicht beantwortet worden. Wieder strömten die Volkshaufen zusammen, drohend und unheimlich in der dunkeln Nacht vor dem Stephanstage. Den Anstoß scheinen die Altgläubigen mit Drohungen und Rüstungen gegeben zu haben. Beim Münster, in der Spalenvorstadt, in Kleinbasel sammelten sie sich, zu Gartnern ihre Gegner. Alle bewaffnet und zum Bürgerkriege für den Glauben entschlossen. Es waren seltsam bewegte Stunden; in den Domherrenhöfen und Priesterhäusern fürchtete man eine Mordnacht; auf den Gassen überall war lärmendes Ziehen von Verstärkungen; die ganze Nacht durch saß der Rat, sandte den da und dort Versammelten seine Gebote.

Endlich, nach vielen Versuchen, gelang am 26. Dezember dem Rate, die Erregten zur Ruhe zu bringen. Jede Partei bestellte einen Ausschuß; dann gingen sie auseinander. Die Ausschüsse aber blieben in Permanenz, im Zunfthause zu Gartnern der eine, in dem der Fischer der andre; von hier aus unterhandelten sie Tag und Nacht mit dem Rate.

Eine Abschrift der Supplikation der Evangelischen vom 23. Dezember wurde den Altgläubigen auf ihr Begehren vom Rate zugestellt; zu deren Erwiderung ließen nun auch sie, am 29. Dezember, eine Eingabe an den Rat abgehen.

Die meisten Tore der Stadt blieben geschlossen, die Wachen wurden verstärkt. Allgemein hatte man den Eindruck, mitten in der entscheidenden Bewegung zu stehen, in der schwersten Krisis für Leib und Gut. Daß es viel mehr als nur ein vereinzelter vergänglicher Hausstreit war, zeigte das Hineinreden der Freunde und Nachbarn.

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Rudolf Wackernagel: Geschichte der Stadt Basel. Dritter Band. Helbing & Lichtenhahn, Basel 1924, Seite 504. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wackernagel_Geschichte_der_Stadt_Basel_Band_3.pdf/525&oldid=- (Version vom 1.8.2018)