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Luther kämpfend, erzog er das Leben und den Charakter dieser Kirche, leitete er sie aus ihren Anfängen zur Reife, zur Selbständigkeit.

Ökolampad war in keinem Betracht eine geniale Natur, keine überwältigende Kraft. Aber der Beste unter den in Basel vorhandenen Vertretern der neuen Lehre. Ihn empfahl und hob über die Andern seine Reinheit, sein starker sittlicher Ernst, seine Bildung, seine Klarheit, sein ungewöhnliches Wissen. Diese Qualitäten gaben ihm wie von selbst die Führerschaft.

Aber wie unansehnlich war der von Jugend auf kränkliche Mann! Nichts Gewinnendes in dieser Gestalt mit dem ausgemerkelten Leibe, dem gelben Antlitz, der großen Nase, der schwäbelnden Fistelstimme. Auch die angeborene Schüchternheit, sein Hang zu Versinken in stiller Beschauung ließen ihn hinter streitbaren Kollegen vom Schlage Lütharts und Wissenburgs zurücktreten. Schon frühe hatten die Freunde an ihm zu tadeln, daß er wankelmütig sei, seiner Stimmungen nicht Herr werde, viele Worte mache und Wenig ins Werk setze. Er scheute zurück vor einem starken und allenfalls Andern wehetuenden Zugreifen; das Fehlen von Kampflust Schlagfertigkeit Beredtsamkeit machte ihn zum schlechten Disputator.

So fühlte Ökolampad in sich selbst Fesseln und Hemmungen. Daß er trotzdem in beständigem Kampfe mit der eigenen Natur, in keinem Augenblicke durch das Glücksgefühl einer freien siegesgewissen Kraft getragen, seinen Posten behauptete und so Vieles zu Stande brachte, ist das schönste Zeugnis für die nicht glänzende, aber bis auf den Grund edle tüchtige ernste Art dieses Mannes. Das Bedeutende in der Erscheinung Ökolampads ist uns weniger sein Tun an sich, als daß es die Hingabe seines Lebens war.

Aber wir haben auch an die Schule zu denken, in der er stand. An die unabweislichen Forderungen des Werkes, dem er sich geweiht hatte, an das Große und unaufhörlich Neue seiner Zeit. Dieses allgemeine Wachsen hat auch ihn vorwärts gebracht, Menschen und Dinge haben auch ihn erregt und erzogen und gestählt zu dem herberen entschlossenen Ökolampad der spätern Jahre.

Keine neue Kirche haben wir vor uns, sondern eine Partei innerhalb der einen uralten Kirche, die jeder der Streitenden als die seine ansprechen kann. Diese Partei lebt mit vom alten Kirchengut, in den alten Kirchengebäuden, unter den alten Kirchenbehörden. Im Rahmen der alten Kirchengemeinde besteht sie als geistliche Gemeinschaft und ist Majorität oder Minorität. Nebeneinander können in derselben Kirche Alt- und Neugesinnte Gott dienen. Alles ist Übergang, noch Nichts gefestigt, noch Nichts organisatorisch geformt und geschieden.

Empfohlene Zitierweise:
Rudolf Wackernagel: Geschichte der Stadt Basel. Dritter Band. Helbing & Lichtenhahn, Basel 1924, Seite 345. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wackernagel_Geschichte_der_Stadt_Basel_Band_3.pdf/366&oldid=- (Version vom 1.8.2018)