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zu ihm geht, wer ihn hören will; auch Wissenburg im Spital predigt nicht nur Kranken und Pfründern.

Überall ist im Anfänge das „Wort“, die Verkündung des Evangeliums. Zu seinem Anhören finden sich Gruppen Scharen Massen zusammen, und es entstehen Gemeinschaften, Keime späterer Kirchgemeinden im Rechtssinne. Nirgends erheben sich dabei Laien, die der Schrift Meister sein wollen. Sondern sofort sind Berufsprediger da; Priester und Predikanten der alten Kirche werden Führer neuer Gemeinschaften.

Aber den Führern stehen Führer, den Gemeinschaften Gemeinden gegenüber. Es kommt zu Kanzelgefechten, wie sie ein Anhänger Lütharts schildert: „dieser Franziskaner verkündet dem Volke lauten Mundes Christum, wenn auch sein Gegner, der kleine Doktor im Augustinerkloster (Moritz Fininger), beständig dawider schreit. Hat Lüthart in einer Predigt etwas aufgebaut, so reißt es der Andre in der seinigen wieder zusammen.“ Aber auch das Volk rührt sich, es schmäht sich gegenseitig die Prediger. Die ganze Stadt wird aufgeregt und der Hader immer heftiger, sodaß den Lüthart selbst seine Freunde mahnen müssen, nicht so scharf dreinzufahren. Er hat mit tätlichen Anschlägen seiner Gegner zu rechnen, und auch Reublin zu St. Alban lebt oft „in großer Gefahr Angst und Not“.

In solcher Weise beginnt der Kampf, um von da an das Jahrzehnt zu erfüllen. Ein Kampf, durch den das vorhandene kirchliche Leben entwickelt, das Bewußtsein der Kämpfer hüben wie drüben geklärt wird; einen Teil seiner Wucht gewinnt er dadurch, daß auch weltliche, soziale wie politische, Elemente in ihm zur Geltung drängen, und daß er nicht nur ein Kampf um die Lehre, sondern auch ein Kampf wider die Allmacht der Kirche ist.

Die Neuerer begnügen sich aber bald nicht mehr mit dem Verlaufe bisheriger Art. Sie verlangen nach stärkeren Demonstrationen.


Am Palmsonntag, 13. April 1522, wurde im Klybeckschloß bei der Mahlzeit Fleisch eines gebratenen Spanferkels gegessen. Es war nur einer der vielen Fastenfrevel dieser Zeit in Basel. Aber derjenige, der am meisten Aufsehen erregte, weil dabei außer dem Pfarrer von St. Alban Reublin der Spitalpfarrer Wissenburg und der St. Martinskaplan Bonifaz Wolfhart mit dem Hausherrn, dem stadtbekannten Chirurgen und Papierfabrikanten Sigmund und dem zu Besuch hier anwesenden Kölner Humanisten Herman von dem Busche zusammen am Tisch saßen. Eine spontane Ausgelassenheit war die „fresserey“ jedenfalls nicht, und der Skandal, den sie hervorrief, ein gewollter. Denken wir doch an den geistesmächtigsten und kampfesfrohesten

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Rudolf Wackernagel: Geschichte der Stadt Basel. Dritter Band. Helbing & Lichtenhahn, Basel 1924, Seite 327. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wackernagel_Geschichte_der_Stadt_Basel_Band_3.pdf/348&oldid=- (Version vom 1.8.2018)