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In bemerkenswerter Weise regt sich nun aber über dies Traditionelle der amtlichen Devotion hinaus eine mit Bestimmtheit formulierte neue Gesinnung. Zum ersten Male zu Ende der 1450er Jahre bekennt sich der Rat in offizieller Weise zur Ansicht, daß „einer jeden Stadt Regiment zunächst dazu gestiftet sei, Gottes Ehre zu äufnen und zu fundieren und allem Unrecht und besonders grober Sünde und Missetat nach Ordnung der heiligen Christenheit zu wehren.“ Diese Anschauung führt jetzt den Rat zu einer eingreifenden Tätigkeit für Besserung der Sitten und Bekämpfung aller Laster. Die Behörde, die sich bis dahin nur um die Wahrung des Stadtfriedens zu kümmern hatte, erhält ein neues Gebiet ihrer Berechtigung, aber auch ihrer Fürsorge. Ihre Befehle und Strafandrohungen wenden sich fortan auch wider die Gotteslästerung, die Schändung der Feiertage, den Ehebruch, das Spiel, die Üppigkeiten aller Art.

Aber wie der Rat nunmehr auf dem bisher der Kirche anheimgegebenen Gebiete der Sittenpolizei eigene Interessen zu haben erkennt und diese geltend macht, so verfährt er in gleicher Weise auch auf andern Gebieten.

Wir erinnern uns an das über Wohltätigkeit Spenden Herbergen usw. Vernommene; die weltliche Macht tritt jetzt auch diesen Gegenständen näher und gibt ihnen, die als Werke der Caritas entstanden sind, den überwiegenden Charakter von Instituten städtischer Wohlfahrtspolizei.

Noch einschneidender in kirchliches Recht und Leben ist weiterhin, was als Amortisationsgesetzgebung des Rates zu Stande kommt. Diese will der Kirche, die ihre Erwerbsfreiheit und Erwerbsfähigkeit mit allen Mitteln, auch solchen höchster Art, zu fördern im Stande ist und zur gleichen Zeit ihr Gut als unveräußerlich erklärt, den Vermögenserwerb erschweren. Sie will verhindern, daß große Werte dem allgemeinen Umsatz verloren gehen und „der Griff der toten Hand den freien Güterverkehr unterbindet.“

Wichtige und umfassende Komplexe von Recht Macht und Tätigkeit sehen wir auf diesen Wegen aus dem Bereiche der Kirche in denjenigen der weltlichen Gewalt übergehen. Als Stücke des öffentlichen Regimentes werden sie in einem andern Zusammenhange näher zu betrachten sein.

Mit religiöser Gesinnung, mit dem Verhältnisse des Einzelnen oder der Gesellschaft zur Kirche, mit dem Wesen und Werden der kirchlichen Institutionen selbst hat freilich dies Ablösen oder Wegdrängen bisheriger Befugnisse nichts zu tun. Es ist ein Vorgang, dessen Bedeutung wir nur verstehen in Gedanken an allgemeine Entwickelungen.

Achten wir auf diese, so sehen wir zunächst eine lediglich kühle und sachliche Anwendung derjenigen Kraft am Werke, die vom staatlichen Leben

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Rudolf Wackernagel: Geschichte der Stadt Basel. Zweiten Bandes zweiter Teil. Helbing & Lichtenhahn, Basel 1916, Seite 871. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wackernagel_Geschichte_der_Stadt_Basel_Band_2,2.pdf/350&oldid=- (Version vom 4.8.2020)