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Verschiedene: Wünschelruthe

sie wegen ihres hübschen Aussehens ihrer Lebhaftigkeit, wegen der Zierlichkeit und Gewandheit womit sie sich im Tanz zubewegen wußte, aufgefallen war. – Es hat eine sonderbare Bewandniß mit diesem Trauerfall sagte Bissing, ich werde wohl, ein bischen weit ausholen müssen, verlieren Sie nur die Geduld nicht.

Die Marie ist, wie Sie meine Herrn noch nicht wissen, die achtzehnjährige Tochter des Heinrich Möhnecke, des reichsten Bauers in Frankenhagen. Ehemals hieß sie nur die wilde Marie, weil sie so ausgelassen war. Wo es zu singen, zu tanzen gab sah man sie voran. Die jungen Burschen rissen sich um sie, wegen ihrer Schönheit, mag seyn auch wegen ihres Geldes; die Frauen hatten sie gern in den Spinnstuben, denn sie erzählte lauter Gerichten die schön gingen, wie die Weiber zu sagen pflegen, und wußte immer lustige wackere Lieder anzugeben; dabei aber machte sie sich nicht eben viel aus aller Welt, beständig fröhlich in ihrem Sinn. Vor achtzehn Monathen ungefähr, gewinnt das Ding mit eins eine ganz veränderte Gestalt, das Mädchen wird still und trübsinnig, sie treibt ihr Wesen nur zu Haus träumerisch seufzend vor sich hin, kein Mensch weiß was ihr fehlt, man hört nur daß die rothe Liese ihr von Zeit zu Zeit allerlei Bücher aus der Leihbibliothek in der Stadt zutragen muß. Es hatte aber kurz vorher der Lieutnant Graf Balzac bei Möhnecke im Quartier gelegen; Sie kennen ja den liebeswürdigen Elsasser, ist er doch oft hier gewesen. Dieser hatte sich für das in ihrem Stande sehr ausgezeichnete hübsche Mädchen lebhaft interessirt und da er eine auffallende Empfänglichkeit bei ihr wahrnahm, sich viel mit ihr beschäftigt, auch sie zur Lectüre angeleitet. Nun ist es gewiß daß Balzac ein edler und wahrhaft schöner Mensch auf keinerlei Weise Arges oder Gefährliches mit dem Mädchen im Sinne hatte, aber ein übelverstandner verkehrter Bildungseifer trieb ihn in Mariens Gemüth Ideen anzuregen, die, in dem ihr vom Schicksal einmal angewiesene Kreise nothwendig verderblich werden mußten. Dieses müssen wir freilich tadlen, wir können nicht anders, allein es ist gewiß aus tausend Gründen zu verzeihen! das aber dürfen wir der Liebenswürdigkeit doch nicht als Verbrechen anrechnen, daß sie Liebe erweckt. Genug Marie liebte ihren freundlichen Lehrer. Es ist wahrlich ein Unglück zu nennen, daß Balzac so schnell hier aus der Gegend gerufen wurde, wahrscheinlich würde sich unter seiner Leitung der Ideenkreis des Mädchens gleichmäßig erweitert haben, wo sie dann mit einem gewissen Grade der Ausbildung, leichter die Ruhe in sich gefunden hätte. So aber verließ er sie in ihrem innern Wesen gewaltsam angeregt und gestört, ihre ganze Geistesthätigkeit richtete sich nach einer Seite mit gewohnter Heftigkeit einer Leidenschaft nachhängend, die doch immer eine hoffnungslose bleiben mußte. Sie hat an den Grafen geschrieben, ihm ihre Liebe entdeckt, er soll darauf geantwortet haben, doch sind diese Briefe sorgfältig von ihr verheimlicht. Hier also die Ursache ihrer Schwermuth; dieses Alles ist erklärbar; jetzt aber nimmt die Sache eine Wendung über die ich vergeblich in mir nach Aufschluß gesucht habe. Vor einem halben Jahre fängt das Mädchen an, dem Anton Meier dort drüben vom Mövenbrink, der ihr selbst während ihrer Traurigkeit nachgegangen war, sich auffallend günstig zu erweisen. Sie kommt oft mir ihm zusammen und ihre Aeltern die über die Bekümmerniß der einzigen Tochter fast in Verzweiflung waren, dir auch nichts gegen den bemittelten Anton als Schwiegersohn einzuwenden wissen, lassen sie gewähren. – Sie ist oft mit ihm allein umhergegangen, hat ihm viel vorgesprochen aus ihren Büchern, auch vorgelesen. – Ich werde mich erkundigen welcherlei Romane Marie gelesen hat, denn Romane waren es doch gewiß. – Indeß wird auch Anton, sonst ein frischer kecker Bursch sinnig und in sich gekehrt, gedrückt und gramvoll, schleicht er umher. – Denken Sie sich, gestern Mittag stürzt er todtenbleich, zitternd, heulend zum Amtmann Rudolphi ins Zimmer und vor ihm auf die Knie geworfen, schreit er händeringend, er habe die Marie eben in Möhnecken Scheure todtgeschossen. Nur mit Mühe hat man nach und nach[1]aus dem halbwahnsinnigen Menschen herausbringen können, daß das Mädchen ihn schon seit lange angegangen sei sich mit ihr das Leben zu nehmen, oft und mit unwiderstehlicher Beredsamkeit, so daß er, wenn auch wider Willen das Schießgewehr und das Pulver und das mördrische Blei habe ankaufen und herbeischaffen müssen. Heute in der Frühe bestelltermaßen zu ihr gekommen, habe sie ihm, in die Scheune geführt, eine Rede gehalten, wohl eine halbe Stunde lang, wie er sie noch von keinem Pastor vernommen. Die Seligkeit des Sterbens, die Wonne des ewigen Lebens, er habe Alles mit Augen gesehn, das Mädchen sei ihm wie eine Heilige, wie ein Engel erschienen. Grade wie die Begeistrung am höchsten gestiegen, habe sie geboten das Gewehr zu ergreifen und sie zuerst, dann sich zu erschießen. Sie selbst drückt sich die Mündung aufs Herz, das Gesicht abgewendet brennt er los, das Mädchen stürzt röchelnd zusammen. Sinnlos setzt er nun die andre Pistole in den Mund, er drückt ab; sie versagt, der Himmel hat ihn verworfen, sein Herz ist zerrissen, er vermag nicht einen zweiten Versuch zu unternehmen, den blutigen Jammer kann er nicht länger ansehn, die Pistole weggeschleudert stürzt er fort. Ein Näheres hat der Mensch der jetzt von dem heftigsten Fieber geschüttelt, in wilden Phantasieen liegt, noch nicht aussagen können.

Z.
  1. WS: Vorlage: nach und. Siehe Druckfehler S. 204.
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Verschiedene:Wünschelruthe. Göttingen: Vandenhoek & Ruprecht, 1818, Seite 194. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:W%C3%BCnschelruthe_Ein_Zeitblatt_194.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)