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mir vollkommene Entschädigung.“ Er nahm zum Pfande meinen Pinsel, womit ich die Augen schwärze, und überhäufte mich mit Schimpfreden. Nun verderben meine Augen, weil ich meinen verpfändeten Pinsel nicht habe, und ich ihn nicht wieder kaufen kann. Sieh, Kadi, in welcher unglücklichen Lage ich bin, und bemitleide einen Menschen, der daran nicht gewöhnt ist.“

Der Kadi wendete sich zu dem Alten, und hieß ihn ohne Umschweif reden.

Ich schwöre bei der heiligen Caaba, versezte dieser, bei den Bewohnern des Thales von Mina, daß wenn das Glück mir günstig gewesen wäre, ich gewiß nicht diesen Pinsel zum Pfande genommen hätte, noch hieher gekommen wäre um Bezahlung für meine Nadel zu fordern[WS 1]. Aber, ach! von allen Seiten fliegen die Pfeile des Unglücks auf mich heran. Kennt ihr meine Lage, so kennt ihr auch die seinige. Wir haben nichts als unsre Armut, als das Unglück und unsere einzige Hülfe ist die Pilgrimschaft. Das Schicksal hat uns einander so gleich gemacht, daß ich eben so elend bin als er; denn er kann sich keinen Pinsel wieder kaufen und ich bin so arm daß ich mir keine Nähnadel wieder schaffen kann. Das ist unsere Geschichte, nun sprecht das Urtheil.

Als der Richter dies gehört hatte, nahm er ein Goldstück aus seiner Börse und sagte: Endigt durch dies Goldstück eure Zwistigkeiten.“

Der Alte riß das Gold weg, und ohne es mit dem jungen Manne zu theilen, eignete er es sich zu, indem er ganz ernsthaft zu ihm sagte: „die eine Hälfte gehört mir für meine Rechtfertigung, die andere weil du mir meine Nadel zerbrochen hast. Ich gebe gewiß keine meiner gerechten Ansprüche auf; daher erhebe dich und nimm deinen Pinsel wieder.“

Der Jüngling ward traurig, und der Richter ärgerte sich, wie er dies hörte, daß er das Goldstück gegeben hatte. Doch suchte er den jungen Mann durch einige Drachmen, die er ihm schenkte, zu trösten, und sagte dann zu beiden: „trefft ins künftige nicht wieder solchen Vergleich, hütet euch vor Zank, und erscheint nicht wieder vor mir um eure Streitigkeiten schlichten zu lassen; denn ich habe keine Börse um die Schulden der Partheien zu berichtigen.“

Die beiden Streitenden entfernten sich, froh über seine Freigebigkeit und überhäuften ihn mit Lobsprüchen. Der Kadi indeß, verbarg seinen Unwillen nicht, daß sein Stein genöthigt worden war Thau zu geben; und seine üble Laune zeigte sich deutlich, als er kein Mitleiden mehr empfand. Indeß als er etwas weniger mißlaunig ward, wendete er sich zu seiner Leibwache und sagte: „Jezt verstehe ich . . . mein Mißtrauen öffnet mir die Augen ... Es sind Spitzbuben und sie hatten sich verabredet! Wie kann ich das entdecken und ihnen ihr Geheimniß entlocken?“ - Man kann dies nicht erfahren, rief der verschlagenste seiner Begleiter, als wenn sie selbst es gestehen! - Der Kadi gab Befehl sie zurückzuführen.

Als sie vor ihm erschienen, sagte er: „Bekennt mir die Wahrheit, ich will euch verzeihen.“ Der junge Mann konnte kein Wort hervorbringen und stammelte einige Entschuldigungen. Der Greis trat näher und hub an: „Der Apfel fällt nicht weit von Stamme; ich stamme her aus Saroudje; er ist mein Sohn; der junge Löwe ähnelt seinem Vater. Die Geschichte von der Nadel und dem Pinsel ist erdichtet; aber die Noth hat uns so gequält, daß wir genöthigt sind freigebige Seelen um Allmosen zu bitten und selbst Geizige darum anzusprechen, auf mehrere Arten und Weisen, bald ernsthaft, wenn es glückt, bald scherzend, wenn was nöthig ist, um unser Elend zu erleichtern und unser kümmerliches Leben zu fristen. Der Tod lauert immer auf uns, und verschont er uns heute, so packt er uns morgen.

Der Kadi antwortete: „Wie gut weißt du deine Worte zu setzen! wie interessant wärest du, wenn du nicht ein Schurke wärest. Ich für mein Theil rathe dir in Zukunft keine Richter mehr zu hintergehen, und die Obrigkeit zu achten; denn nicht alle möchten es dir so hingehen lassen und deine Entschuldigungen anhören.“ Der Alte versprach dem Kadi seinem Rath zu folgen und nie wieder zu lügen. Er entfernte sich darauf, aber seine Miene verrieth eben nichts Gutes.

Alhareth, der Sohn Hammams, endigte seine Erzählung und versicherte daß er weder auf Reisen noch in seinen Büchern etwas Aehnliches gefunden habe.

V. M.




Wiegenlieder.







1.

     Eya Popeya slat Kükelken dod,
Krieg et in en Pöttken sau ward et nicht grot,
Wat schöll mi denn mit den Fedderkens daun?
Da will me nen Küsken von maken

5
Da schall dat lütke Kinneken up slapen.


2.

     Slap Kinneken slap,
Din Vader hüdd de Schaape
Dine Mutter hüdd de bunte Mukau,
Slap Kinneken un dau de Ogen tau.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: fodern
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Verschiedene:Wünschelruthe. Göttingen: Vandenhoek & Ruprecht, 1818, Seite 184. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:W%C3%BCnschelruthe_Ein_Zeitblatt_184.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)